Samstag, 4. Oktober 2008

Für wen schreiben?

Eine der dringlichen Fragen, die sich bei jedem, der schreibt, früher oder später einmal stellt, lautet: Für wen schreibe ich?

Erwerbsmäßige Schriftsteller schreiben selbstverständlich für ein zahlendes Publikum - und sind dementsprechend dessen Wünschen sowie der Marktlage verpflichtet.

Freie Autoren genießen die Freizügigkeit, schreiben zu können, was sie wollen - ohne doch sicher davon ausgehen zu können, dass sie auf diese Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Die Probleme beider Formen hat Gabriele Bärtels in der ZEIT (45/2007) ausgeführt: Schreiben macht arm.

Aus bürgerlicher Sicht, der die Sicherung der eigenen Existenz ein vorrangiges Ziel darstellt, rückt das Schriftstellertum prioritär in den Hintergrund: Schreiben nur, wenn die Lebensgrundlage gesichert ist - oder wenn das Schriftstellertum diese sicher gewährt.

Doch es gibt neben diesem bürgerlichen noch einen weiteren Grund, seine Existenz nicht auf Schriftstellerei - sei sie belletristisch oder journalistisch - zu gründen: Die denkerische Unabhängigkeit. Sobald Pegasus vor den Pflug gepannt ist, verliert er seine Kraft zu fliegen.

Schreiben zuerst für sich selbst - zur Aneignung und Interpretation der Welt, inklusive seiner selbst. Dann für Freunde. Dann für alle anderen. Ein Weg zu geistiger Unabhängigkeit.

Und wenn mich überhaupt niemand lesen wird - heißt das denn, mich so viele Mußestunden mit derart nützlichen und angenehmen Betrachtungen unterhalten zu haben sei verlorene Zeit für mich gewesen? Indem ich dieses Porträt nach mir formte, mußte ich, um die wesentlichen Züge aus mir herauszuholen, derart oft die rechte Haltung einnehmen, daß das Modell selbst erst feste Konturen darüber gewonnen hat, sich gleichsam selber erst durchgestaltet hat. Indem ich für mich malte, legte ich klarere Farben in mir frei, als sie es ursprünglich waren. Ich habe mein Buch nicht mehr gemacht, als es mich gemacht hat [...]
Michel de Montaigne, Essais,
hrsg. von Hans Stilett, "Wenn man einander des Lügens bezichtigt", S. 330

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