Gestern lief die
erste Episode von "
Tatort Internet- Schützt endlich unsere Kinder" bei RTL II.
Nun gut, über Geschmack lässt sich nicht streiten: Mir persönlich sagt die pathetische Form des Formats überhaupt nicht zu (um nicht zu sagen: sie widert mich an), aber das mögen andere anders sehen. Das eigentliche Problem ist ein anderes: es liegt in der
unsäglichen Verquickung der Begriffe "Internet" und "Kindesmissbrauch". Dem Zuschauer wird wieder und wieder der Eindruck vermittelt, das Internet stelle einen einzigen Tummelplatz pädosexueller Triebtäter dar. Man wird nicht müde, das Internet als den "größten Tatort" der Welt zu bezeichnen, und auf die unglaublichen Gefahren zu verweisen, die darin lauern.
Aus den Begutachtungssituationen kenne ich viele, viele Täter, um nicht zu sagen fast ausschließlich auch Täter aus dem Bereich der Sexualkriminalität, die das Internet nutzen, mehr oder minder stark. Es gibt ja kaum noch einen Täter, der ein Vergewaltigungsdelikt begeht oder sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern begeht, der nicht vorher irgendwie im Internet irgendwie auffällig war. Wir finden bei fast allen Sexualstraftätern, oder Männern, die einer Sexualstraftat beschuldigt werden, auffällige Verhaltensweisen im Internet. Die gehen ins Internet, weil sie dort ein Bedürfnis befriedigen wollen.
(Prof. Dr. Michael Osterhaider, ab 21'20")
Dabei sollte die spezifische Nutzung der Internet durch potenzielle wie tatsächliche Sexualstraftäter nicht weiter verwundern, denn schließlich lassen sie auch ein spezifisches Verhalten außerhalb des Internet erkennen. Der wesentliche Unterschied zwischen Internet und dem Rest der Welt liegt in der vermeintlich leichteren, jedoch bislang nicht umgesetzten (oder als ausreichend empfundenen) Kontrollierbarkeit des Internets.
Also nochmal für diejenigen, die es noch nicht mitbekommen haben: das Internet ist ein Spiegel dieser Welt. Böse Menschen machen damit böse Sachen, gute Menschen gute. Vergleicht es meinetwegen mit einer Autobahn: da fahren üppige Karossen neben abgeranzten Blechkisten, Polizisten neben Kriminellen. Die Autobahn bringt potenzielle Täter zu ihren Opfern, die sie ohne Autobahn nicht oder nur schlecht erreichen würden. Hat das was mit der Autobahn zu tun? Stellen wir deswegen - und wir WISSEN, dass es passiert - an allen Auf- und Abfahrten Kontrollpunkte auf, um Verbrechen aufzuklären? Kaum!
Merke: das Internet hat mit Kindesmissbrauch soviel zu tun, wie ein Auto mit einem Mord. Im Internet können potenzielle Täter ihre Opfer kennenlernen, wie Mafiosi mit dem Auto zu den ihren fahren. Doch der eigentliche Akt passiert weder im Internet, noch (oder zumindest selten) mit dem Auto. Ist so!
Das Widerlichste an diesem Format ist aber die mediale Ausschlachtung von (versuchten) Verbrechen, die von Menschen verübt werden, die - zumindest nach WHO-Gesichtspunkten (vgl.
ICD-10, F65.4) - als krank einzustufen sind. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, sollten also Pädokriminelle tatsächlich als krank einzustufen sein, stellt sich die interessante Frage nach ihrer Zurechnungsfähigkeit. Manche fordern ja geradezu eine "
Neuroethik". Ob's das tatsächlich braucht, sei mal dahin gestellt. Gleichwohl - Kranke gehören in Behandlung, meinetwegen in geschlossen-stationäre, Verbrecher ins Gefängnis - aber keinesfalls ins Fernsehen!
"Warun brechen Sie jetzt ein? Warum brechen Sie jetzt ein?" (37'57") wird der potenzielle Täter gefragt, dabei dürfte doch offensichtlich sein, dass das Leben dieses Mannes, wenn das alles so stimmt, nun eine harte Wendung nehmen wird. Straf- und disziplinarrechtliche Konsequenzen drohen (vgl.
§ 176 StGB Abs. 6), evtl. der Verlust seines Beamtenverhältnisses und Arbeitsplatzes.Und da fragen wir fröhlich nach: was hat er denn, der Kleine?
Kindesmissbrauch ist eine hässliche Sache - ohne Zweifel. Das StGB sieht entsprechende Strafen vor. Also dann nichts wie zur Polizei und Anzeige erstatten. Doch oh' Schreck - was passiert:
"Leider reicht das Material [...] den Ermittlungsbehörden nicht aus, einen Anfangsverdacht zu generieren [..]."
(45'05")
Wie bitte? Da verabredet sich ein deutlich erwachsener Mann mit einem minderjährigen Mädchen (die Chatprotokolle und das aufgenommene Eingeständnis des Mannes, deren Autor zu sein dürften ja mit dazu zählen) unter Bezug auf die schlüpfrigen Stellen, und DAS soll nicht als Anfangsverdacht z.B. für eine
Hausdurchsuchung genutzt werden können??2?
Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.
Ok, was könnte hinter der Zurückweisung des Materials stehen? Das Bild- und Tonmaterial ist natürlich nicht gerichtsfest, da unrechtmäßig erhoben (
§ 201 STGB, Vertraulichkeit des Wortes). In einem sich evtl. ergebenden Verfahren dürfte es also nicht verwendet werden. Aber ein
Anfangsverdacht sollte sich damit schon begründen lassen. Oder...?
Mir kommt das Ganze sowieso recht seltsam vor. So ist es doch interessant, dass die mutmaßlich potenziellen Pädokriminellen immer schön das Spiel mitmachen. Da sitzt einer eben noch mit seiner vermeintlichen Liebschaft am Tisch, die sich kurz auf die Toilette verabschiedet. Kaum dass sie aufgestanden ist (!), setzt sich die verdeckte Privatermittlerin an den Tisch und beginnt, den potenziellen Täter auszufragen und Vorhaltungen zu machen (ab 32'10"). Und der bleibt einfach sitzen. Steht, wie auch schon im ersten Fall, brav Rede und Antwort. Als hätte er nicht realisiert, dass er in eine Falle geraten ist. Wieso geht er überhaupt auf die ganze Fragerei ein? Da setzt sich jemand mir nichts, dir nichts, an den Tisch und beginnt umstandslos mit Fragen. Und statt sich solche zu verbitten - etwa gleich die erste Frage: "Was machen Sie hier?" - oder einfach zu gehen, macht er einfach mit. Seltsam...
Ok, ich will RTL II glauben, dass es sich hier um tatsächlich mit versteckter Kamera aufgenommene reale Ereignisse ohne Schauspieler, Drehbuch usw. handelt. Aber ein bisschen merkwürdig kommt mir das schon vor...
Aber vielleicht sollte man das Ganze nicht zu ernst nehmen. Schließlich sieht man ja gleich auf der Internet-Seite, um was es geht:
"RTL II - it's fun." Geht das eigentlich nur mir so, oder hat Udo Nagel eine vage Ähnlichkeit mit
Horst Schlämmer?
Hach, ich freu' mich schon richtig drauf, wenn endlich mal die
Running Man-Show Einzug ins Fernsehen hält. Dann lege ich mir vielleicht auch wieder so ein Ding zu. Vorher aber ganz sicher nicht!