Freitag, 26. November 2010

Re:publica 2011

Da dieses Blog ein wenig zu verwaisen droht, mal schnell eine aktuelle Info (und ein bisschen Werbung):

Hab' mich gerade für die Re:publica 2011 angemeldet. Erstaunlicherweise waren bereits alle Early-Bird-Tickets weg. Ok, bin halt kein früher Vogel... Immhin gab's auch noch Blogger-Tickets, und normale natürlich sowieso.
Falls nochmal irgendwann ein Call for Paper kommt, würde ich sogar überlegen, einen Talk einzureichen. Thema wird noch nicht verraten. Aber mal abwarten. Vielleicht sind da ja auch andere früher dran.

Freitag, 8. Oktober 2010

Internet in Danger!

Gestern lief die erste Episode von "Tatort Internet- Schützt endlich unsere Kinder" bei RTL II.

Nun gut, über Geschmack lässt sich nicht streiten: Mir persönlich sagt die pathetische Form des Formats überhaupt nicht zu (um nicht zu sagen: sie widert mich an), aber das mögen andere anders sehen. Das eigentliche Problem ist ein anderes: es liegt in der unsäglichen Verquickung der Begriffe "Internet" und "Kindesmissbrauch". Dem Zuschauer wird wieder und wieder der Eindruck vermittelt, das Internet stelle einen einzigen Tummelplatz pädosexueller Triebtäter dar. Man wird nicht müde, das Internet als den "größten Tatort" der Welt zu bezeichnen, und auf die unglaublichen Gefahren zu verweisen, die darin lauern.
Aus den Begutachtungssituationen kenne ich viele, viele Täter, um nicht zu sagen fast ausschließlich auch Täter aus dem Bereich der Sexualkriminalität, die das Internet nutzen, mehr oder minder stark. Es gibt ja kaum noch einen Täter, der ein Vergewaltigungsdelikt begeht oder sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern begeht, der nicht vorher irgendwie im Internet irgendwie auffällig war. Wir finden bei fast allen Sexualstraftätern, oder Männern, die einer Sexualstraftat beschuldigt werden, auffällige Verhaltensweisen im Internet. Die gehen ins Internet, weil sie dort ein Bedürfnis befriedigen wollen.
(Prof. Dr. Michael Osterhaider, ab 21'20")
Dabei sollte die spezifische Nutzung der Internet durch potenzielle wie tatsächliche Sexualstraftäter nicht weiter verwundern, denn schließlich lassen sie auch ein spezifisches Verhalten außerhalb des Internet erkennen. Der wesentliche Unterschied zwischen Internet und dem Rest der Welt liegt in der vermeintlich leichteren, jedoch bislang nicht umgesetzten (oder als ausreichend empfundenen) Kontrollierbarkeit des Internets.

Also nochmal für diejenigen, die es noch nicht mitbekommen haben: das Internet ist ein Spiegel dieser Welt. Böse Menschen machen damit böse Sachen, gute Menschen gute. Vergleicht es meinetwegen mit einer Autobahn: da fahren üppige Karossen neben abgeranzten Blechkisten, Polizisten neben Kriminellen. Die Autobahn bringt potenzielle Täter zu ihren Opfern, die sie ohne Autobahn nicht oder nur schlecht erreichen würden. Hat das was mit der Autobahn zu tun? Stellen wir deswegen - und wir WISSEN, dass es passiert - an allen Auf- und Abfahrten Kontrollpunkte auf, um Verbrechen aufzuklären? Kaum!

Merke: das Internet hat mit Kindesmissbrauch soviel zu tun, wie ein Auto mit einem Mord. Im Internet können potenzielle Täter ihre Opfer kennenlernen, wie Mafiosi mit dem Auto zu den ihren fahren. Doch der eigentliche Akt passiert weder im Internet, noch (oder zumindest selten) mit dem Auto. Ist so!

Das Widerlichste an diesem Format ist aber die mediale Ausschlachtung von (versuchten) Verbrechen, die von Menschen verübt werden, die - zumindest nach WHO-Gesichtspunkten (vgl. ICD-10, F65.4) - als krank einzustufen sind. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, sollten also Pädokriminelle tatsächlich als krank einzustufen sein, stellt sich die interessante Frage nach ihrer Zurechnungsfähigkeit. Manche fordern ja geradezu eine "Neuroethik". Ob's das tatsächlich braucht, sei mal dahin gestellt. Gleichwohl - Kranke gehören in Behandlung, meinetwegen in geschlossen-stationäre, Verbrecher ins Gefängnis - aber keinesfalls ins Fernsehen!

"Warun brechen Sie jetzt ein? Warum brechen Sie jetzt ein?" (37'57") wird der potenzielle Täter gefragt, dabei dürfte doch offensichtlich sein, dass das Leben dieses Mannes, wenn das alles so stimmt, nun eine harte Wendung nehmen wird. Straf- und disziplinarrechtliche Konsequenzen drohen (vgl. § 176 StGB Abs. 6), evtl. der Verlust seines Beamtenverhältnisses und Arbeitsplatzes.Und da fragen wir fröhlich nach: was hat er denn, der Kleine?

Kindesmissbrauch ist eine hässliche Sache - ohne Zweifel. Das StGB sieht entsprechende Strafen vor. Also dann nichts wie zur Polizei und Anzeige erstatten. Doch oh' Schreck - was passiert:
"Leider reicht das Material [...] den Ermittlungsbehörden nicht aus, einen Anfangsverdacht zu generieren [..]."
(45'05")
Wie bitte? Da verabredet sich ein deutlich erwachsener Mann mit einem minderjährigen Mädchen (die Chatprotokolle und das aufgenommene Eingeständnis des Mannes, deren Autor zu sein dürften ja mit dazu zählen) unter Bezug auf die schlüpfrigen Stellen, und DAS soll nicht als Anfangsverdacht z.B. für eine Hausdurchsuchung genutzt werden können??2?
Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.
Ok, was könnte hinter der Zurückweisung des Materials stehen? Das Bild- und Tonmaterial ist natürlich nicht gerichtsfest, da unrechtmäßig erhoben (§ 201 STGB, Vertraulichkeit des Wortes). In einem sich evtl. ergebenden Verfahren dürfte es also nicht verwendet werden. Aber ein Anfangsverdacht sollte sich damit schon begründen lassen. Oder...?

Mir kommt das Ganze sowieso recht seltsam vor. So ist es doch interessant, dass die mutmaßlich potenziellen Pädokriminellen immer schön das Spiel mitmachen. Da sitzt einer eben noch mit seiner vermeintlichen Liebschaft am Tisch, die sich kurz auf die Toilette verabschiedet. Kaum dass sie aufgestanden ist (!), setzt sich die verdeckte Privatermittlerin an den Tisch und beginnt, den potenziellen Täter auszufragen und Vorhaltungen zu machen (ab 32'10"). Und der bleibt einfach sitzen. Steht, wie auch schon im ersten Fall, brav Rede und Antwort. Als hätte er nicht realisiert, dass er in eine Falle geraten ist. Wieso geht er überhaupt auf die ganze Fragerei ein? Da setzt sich jemand mir nichts, dir nichts, an den Tisch und beginnt umstandslos mit Fragen. Und statt sich solche zu verbitten - etwa gleich die erste Frage: "Was machen Sie hier?" - oder einfach zu gehen, macht er einfach mit. Seltsam...

Ok, ich will RTL II glauben, dass es sich hier um tatsächlich mit versteckter Kamera aufgenommene reale Ereignisse ohne Schauspieler, Drehbuch usw. handelt. Aber ein bisschen merkwürdig kommt mir das schon vor...

Aber vielleicht sollte man das Ganze nicht zu ernst nehmen. Schließlich sieht man ja gleich auf der Internet-Seite, um was es geht: "RTL II - it's fun." Geht das eigentlich nur mir so, oder hat Udo Nagel eine vage Ähnlichkeit mit Horst Schlämmer?


Hach, ich freu' mich schon richtig drauf, wenn endlich mal die Running Man-Show Einzug ins Fernsehen hält. Dann lege ich mir vielleicht auch wieder so ein Ding zu. Vorher aber ganz sicher nicht!

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Blogosphäre in der Krise

Maingold-Blogger Marius hat in einem Beitrag auf die Krise in der Blogospähre hingewiesen: Am Krankenbett der Blogosphäre – oder von der fehlenden Motivation zu bloggen.

Die Blogosphäre in der Krise - wer hätte das gedacht?! Vor Kurzem, z.B. auf der 10. Republika, feierte sich die Community noch selbst - von Jahr zu Jahr hatte die Anzahl der Tagungsgäste zugenommen und inzwischen wurden sogar schon Stimmen laut, die den Verlust der familiären Atmosphäre beklagten. Das macht einen nicht gerade glauben, die Blogosophäre läge danieder. Auf den ersten Blick. Der zweite zeigt: an der Diagnose könnte was dran sein.

Ok, ich selbst bin jetzt nicht gerade der Hardcore-Blogger und auch sonst nicht so häufig in der Blogosphäre unterwegs. Denn ja länger ich surfe, desto unzufriedener werde ich durch das reine Konsumieren - sofern ich noch die Intention habe, selbst zu bloggen. Das Problem sind - genau wie beim Fernsehen - nicht die vielen Einträge, deren Form und Inhalt zu wünschen übrig lassen. Sondern ganz im Gegenteil sind es die guten Inhalte, die interessanten Beiträge, die Frust erzeugen. Denn schnell bemerkt man: Selbst bei einem 24stündigen Lesemarathon würde man kaum alle die Inhalte erfassen können, die einen interessieren. Es gibt zu viel guten Content, als dass man ihn bewältigen könnte. Mit dieser langsam zur Erkenntnis wachsenden Ahnung stirbt die Lust am Lesen fremder Beiträge ab. Lieber was anderes machen. Oder den Rest des Tages, ausgehend von ein paar zentralen Blogs, surfen - ohne zu kommentieren. Einige Blogs, wie fefe oder nerdcore, sind ja prima Einsprungstellen in die Weiten des Netzes.

Doch die Masse an Blogs bewirkt noch einen weiteren Effekt - nämlich das Gefühl, selbst nichts Originelles mehr zu sagen zu haben: alles wurde schon gebloggt, und zwar ganz sicher profunder und eloquenter als man selbst es vermag. Und wenn nicht heute, dann gestern. Und wenn nicht heute und gestern, dann morgen. Also lässt man nicht nur das Lesen, sondern auch das Schreiben.

Wir fassen zusammen: nicht der schlechte, sondern der gute Content befördert die Schrumpfung der Blogosphäre! (Ganz ähnlich übrigens Magdalena auf 25uhr: How Success Kills Usability.)

Aber Moment mal: Schrumpfung? Ja, genau! Die Blogosphäre krankt, doch sie stirbt nicht. Nach einer ersten Phase der Euphorie, in der jeder auf den hippen Zug aufgesprungen ist, kommt jetzt die Phase der Gesundschrumpfung. Natürlich wird es weiterhin Blogs geben, ist doch klar. Ziemlich sicher die, welche heute die Blogcharts anführen. (Man überprüfe diese Aussage ruhig in ein paar Jahren, falls es dieses Blog dann noch geben sollte.)

Und ist das schlimm? Nein, eigentlich nicht. Denn plötzlich macht es wieder Spaß, Blogs zu lesen. Durch die Konsolidierung wird die Welt wieder übersichtlicher - ein bisschen zumindest. Und der Mensch ist nun mal ein Herdentier: Man liest gerne das Medium, das a) die eigene Meinung verstärkt (jaja, is' leider so) und b) dann auch noch viele andere Leute lesen (die ja, s. a) wie man selbst ticken). Und der Rest? Na, der stirbt ab - oder bildet kleine Blog-Cliquen aus: ganz wie früher. Vielleicht trifft man sich dann sogar mal offline. Einstmals (Präinternetium) nannte man solche Veranstaltungen "Usertreffen": Man wollte die Leute (meist Kerle), mit denen man sich austauscht, persönlich bei einem Bier treffen und mal "richtig" kommunizieren, face-to-face. Ich muss gestehen - ich finde diese Vorstellung durchaus nicht unsympathisch!

Ich schreibe wie...

FAZ.net hat sich was Nettes einfallen lassen: auf der Seite Ich schreibe wie... kann man eine Textprobe von sich eingeben und dann die stilistische Nähe zu (hoffentlich) bekannten Autoren berechnen lassen. Wie genau das funktioniert, verrät die Seite natürlich nicht. Immerhin findet sich unter dem Eingabefeld der Hinweis, das Verfahren basiere auf dem englischsprachigen I write like..., das von Coding Robots entwickelt wurde.

Ich habe die Software gleich mal mit einem einseitigen Auszug aus einem meiner Prosamanuskripte ausprobiert, und siehe da:

Uwe Johnson


Selbstverständlich fühle ich mich geehrt, angesichts der attestierten stilistischen Nähe zu einem so bedeutenden deutschen Nachkriegsschriftsteller. Betroffen gemacht hätte mich indes eine Nähe zu ... aber lassen wir das.

Ob sich die Annahmechancen eines Manuskripts indes erhöhen, tackerte man das obige Zertifikat daran - das steht freilich auf einem anderen Blatt. In jedem Fall trägt es ein wenig zu Eigenmmotivation bei :-)

Dienstag, 21. September 2010

Medienmachtmissbrauch

Inzwischen hat sich der Skandal gelegt, die Medienkarawane ist weitergezogen. Genau der richtige Zeitpunkt um Abstand zu gewinnen, einmal tief Luft zu holen und eine der Pressemeldungen, die vor kurzem die Gemüter erhitzte, neu zu betrachten.

Gemeint ist hier keineswegs der Streit um die Thesen Thilo Sarrazins, gleichwohl dieser ebenfalls einer enthysterisierten Betrachtung bedürfte. Einen großen Schritt in diese Richtung hat Matthias Matussek an weitaus prominenterer Stelle unternommen, weswegen hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll.

Nein, es geht vielmehr um folgende und vergleichbare Meldungen:
Sex-Skandal in Kur-Klinik auf Sylt
(Bild, 13.09.2010)
Missbrauchsverdacht in Kinderklinik - Schatten über Sylt
(Spiegel Online, 20.09.2010)
Was war geschehen? In der DAK-Kinderkurklinik Haus Quickborn soll es zu sexuellem Missbrauch gekommen sein! Entsprechend hoch ist die Empörung, sind doch die zahlreichen Missbrauchsfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche und der Odenwaldschule noch gut im Gedächtnis. Die Gemüter sind erhitzt: jahrelang war erlittenes Leid totgeschwiegen und verdrängt worden, nun soll eine neue Offenheit der sexuellen Ausbeutung Minderjähriger einen Riegel vorschieben. Ganz in diesem Sinne ist auch das unlängst erschienene Buch Stephanie zu Guttenbergs zu verstehen: "Schaut nicht weg!" Nein, weggesehen werden soll wahrlich nicht mehr. Vielmehr hell auszuleuchten ist der dunkle Sumpf des Missbrauchs, in dem unablässig ungezählte Kinderkörper und -seelen geschändet werden.

Bei näherer Betrachtung der Meldungen stellt sich indes ein schales Gefühl ein. "Missbrauch in Kurklinik", das klingt nach Zuneigung heuchelnden Betreuern, die unter windigen Vorwänden körperliche Nähe zu ihren Schützlingen suchen. Doch tatsächlich geschah, sofern sich dies aus den bekannt gewordenen Informationen erschließen lässt, etwas gänzlich anderes: In einer Gruppe von Kindern im Alter zwischen 9 und 13 Jahren ist es zu sexuellen Handlungen gekommen. 13 der 16 in der Wohngruppe untergebrachten Kindern haben sich an einem Flaschendreh-Spiel beteiligt, dessen Aufgaben sexueller Natur waren. Dabei wurde mindestens ein Kind gegen seinen Wille zum Mitmachen genötigt.

Allerdings habe es offenbar auch einen Gruppendruck gegeben. Wer die Aufgaben nicht erfüllt habe, sei als "Angsthase, Memme und Spielverderber beschimpft" worden.
(Quelle: Spiegel Online)
OMG - WER HÄTTE SOLCHES JE VERMUTET??? Sexspielchen im Jungenlager!!! Wer kann den so was ahnen?

Ja, wer? Vielleicht jeder, der selbst einmal an Jugendlagern teilgenommen hat. Oder - wem solches ferne liegt - wer einmal Robert Musils Novelle "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" (1906) gelesen hat. Insbesondere Musils Textbeispiel zeigt drastisch, wie wenig erotisch, dafür umso sadistischer solche sexuellen Annäherungen verlaufen können.

Doch was soll man nun von der DAK, die es in diesem Fall nun einmal getroffen hat, erwarten? Rundumüberwachung der Schutzbefohlenen? Einzelunterbringung? Keuschheitsgürtel? Und warum müssen überregionale Medien über diesen Fall berichten? Hinsichtlich der Missbräuche im Rahmen der katholischen Kirche und der Odenwaldschule war eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema förderlich, erhielten doch auf diese Weise auch bislang Ungehörte die Möglichkeit zur Äußerung. Missstände konnten offengelegt werden, die auf strukturelle Fehler in den Systemen (katholische Kirche, Odenwaldschule) verweisen. Doch in diesem Fall?

Zweifelsohne: Gruppendruck ist unangenehm, verletzend. Wer hätte dies nicht selbst am eigenen Leib erfahren? In Kindergarten, Schule, Universität, im Beruf, in der Freizeit, wahrscheinlich auch im Altenheim: überall, wo Menschen aufeinander treffen, baut die Mehrheit einen Druck auf die Einzelnen auf, mal mehr, mal weniger subtil. Wer sich diesem Druck entziehen möchte, hat es schwer, leidet, der eine leise, der andere laut. Und so unerfreulich es ist: es gehört zum Erwachsenwerden mit dazu. Sich durchzusetzen, sich zu entziehen. Kämpfen, Weglaufen oder Verhandeln - das sind die Optionen, von denen jede ihre Zeit, ihre Berechtigung hat. Zu lernen, sich ihrer angemessen zu bedienen, gehört zu den wichtigen Aufgaben der Kindheit und der Jugend - vielleicht des Lebens insgesamt. Es ist eine Frage von Bildung.

Und diese Frage der Persönlichkeitsbildung wird plötzlich öffentlich. Das Thema passt zu gut, ist zeitgemäß. Sex sells. Vom Missbrauch ist die Rede, doch missbraucht wird der Leser, und auch das kindliche Opfer dieses Falls. Es wird ein zweites Mal geopfert - dieses Mal auf dem Altar des Kommerz. Hier geht es nicht mehr um die persönlichen Belange von einzelnen, von der Aufdeckung struktureller Fehler in Systemen, letztlich um die Besserung defizitärer Zustände. Denn zu bessern ist nichts, allenfalls wenig. Nein, es geht hier um Profaneres, es geht um Geld!

Was, um noch einmal auf die Frage zurück zu kommen, ist die jetzt zu ziehende Lehre? Sicher nicht eine stärkere Überwachung der Kindergruppen. Vielmehr eine verstärkte Sensibilität von Eltern und Betreuern hinsichtlich der Kümmernisse einzelner Kindern, die leiden, weil sie zu Opfern wurden - und dies nicht nur bei Doktorspielchen oder Flaschendrehen - denn es geht nicht um Sex! Vor allem aber auch die Bereitschaft, Kindern ihre Freiräume zu lassen, sich auszuprobieren, allein und gemeinschaftlich - ja: auch sexuell. Und da haben Erwachsene nur eine Pflicht: wegzuschauen! Genauer: Schaut nicht hin!

Die wichtigste Lehre jedoch ist. für all das braucht es BILD und Co. sicher als aller, aller letztes!

Montag, 30. August 2010

Der ahistorische Geist nach Spengler und die Schriftkultur des Internet

In seinem berühmt-berüchtigten Untergang des Abendlandes (Orig. 1917, 1922. Zit. nach dtv 1972) schreibt Oswald Spengler in der Einleitung:
Das Weltbewusstsein des indischen Menschen war so geschichtslos, dass er nicht einmal die Erscheinung des von einem Autor verfassten Buches als zeitlich feststehendes Ereignis kannte. Statt einer organischen Reihe persönlich abgegrenzter Schriften entstand allmählich eine vage Textmasse, in die jeder hineinschrieb, was er wollte, ohne dass die Begriffe des individuellen geistigen Eigentums, der Entwicklung eines Gedankens, der geistigen Epoche eine Rolle gespielt hätte.

(A.a.O., S. 15, herv. v. Soph.)
Es ist ein reizvoller Gedanke, sich die Perspektive eines Historikers der ferneren Zukunft vorzustellen, wenn er dereinst einen Blick auf die überkommenen Fragmente des heutigen Internets wirft. Einmal angenommen, der Textkorpus aller heutigen Blogs bliebe einigermaßen erhalten, würde daraus vermutlich ein nicht allzu anderes Bild entstehen wie das, welches Spengler dem antiken (im Zitat indischen) Geist zuspricht - das eines vornehmlich ahistorischen Gegenwartsbewusstseins.

Dabei sind wir uns freilich stets des aktuellen Datums bewusst, verstehen die Chronologie der Jahre zu deuten. Jeder Blogeintrag wird mit Datum und Uhrzeit abgelegt und auch die Verlinkungen ermöglichen - in gewissen Grenzen - eine Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte.

Wer könnte sich in der "Blogosphäre" - der Gesamtheit aller Blogs - noch der Autorenschaft eines originellen Gedankens rühmen, da doch seine Abhängigkeit von den Ideen anderer so offenkundig ist, da stets andere ganz ähnliche Gedanken hegen und sie notieren. Die Blogosphäre so weniger einem Wald von klar voneinander abgegrenzten Bäumen, sondern mehr einem koloniebildenden Organismus, wie etwa der Koralle. Meme wechseln frei flottierend hin und her, entwickeln, verändern sich, verschwinden im Dunkeln bis sie unverhofft wieder emportreten. (Man denke hier an den von Ludwik Fleck geprägten Begriff des "Denkkollektivs".)

Der Grund für den ahistorischen Charaker der Blogs liegt in ihrer aphoristischen Natur, d.h. in ihrer Kürze. Zwar sind die Beiträge eines Blogs oft thematisch ausgerichtet damit inhaltlich miteinander verwandt. Doch ist dieser Zusammenhang lose und jeder Beitrag steht zunächst einmal für sich alleine. Eine geschlossene Abhandlung in Form einer Reihe von Blogbeiträgen ist zwar denkbar und technisch möglich, würde aber doch die Intention des Mediums verfehlen und die Gegebenheit seiner technischen Realisierung missachten. Man denke etwa daran, dass die Beiträge eines Blogs meist chronologisch von jung nach alt sortiert sind, während der Leser eines Buchs eine inhaltlich aufbauende, d.h. chronologisch umgekehrte Reihenfolge bevorzugt. (Diesem Aspekt wäre indes leicht auf technischem Wege entgegen zu treten, indem man die Sortierrichtung umkehrt.)

Die interessanteste Frage weist dabei allerdings in Richtung der Rezipienten: Ich wage zu vermuten, dass nur in den aller seltensten Fällen eine Bereitschaft besteht, sich auf die Beiträge eines Blog einzulassen, das dem Umfang eines normalen Buches entspricht: etwa 200-400 Seiten. Die für eine solche Lektüre zu erübrigende Zeit dürfte die Aufmerksamkeitsspanne auch interessierter Leser nicht unerheblich überschreiten.

Dessen ungeachtet wäre es allerdings ein überaus spannendes Experiment, ein umfassenderes Werk tatsächlich öffentlich zu entwickeln, und dem Leser unmittelbar die Gelegenheit zur Kommentierung zu geben. Zur Realisierung des Idealfalls, nämlich der Möglichkeit, beliebige Textstellen zu kommentieren, eignet sich Blogtechnik jedoch nur bedingt, die Kommentare doch nur für größere Texteinheiten zulässt. Zur Umsetzung dieses Experiments bedürfte es also einer Abwandlung der Blogtechnik, bei der am besten auch gleich die Möglichkeit einer Referenzierung von Kommentaren eingerichtet wird (was jetzt nur eingeschränkt möglich ist, da sich jeder Kommentar zunächst auf den Haupttext, d.i. Blogbeitrag bezieht.) Was hierbei entstehen würde, wäre eine dem Talmud entsprechende Sammlung von aufeinander bezogenen Texten und Kommentaren.

So reizvoll diese Vorstellung eines öffentlich erstellten Textes auch ist (die Idee ist wahrlich nicht neu), stellt sich doch die Frage, welcher Verfasser bereit wäre, sein Werk vor aller Augen zu entwickeln, verbindet sich doch mit dem Entstehungsprozess komplexerer Texte meist eine gewisse Scham. Wie weit dieses möglicherweise veraltete Konzept von Zurückhaltung heute jedoch noch Gültigkeit besitzt, lasse ich hier dahin gestellt. Es erscheint mir kaum vorstellbar, dass sich nicht irgendjemand findet, der hierzu bereit wäre - die Frage ist nur, inwieweit irgendjemandes Produkt mit Gewinn zu lesen wäre. Doch auch dafür würden sich sicher Leser finden.

Das beste Beispiel eines ahistorischen Textes, wie Spengler ihn im o.g. Zitat beschreibt, ist zweifelsohne die Wikipedia: eine vage Textmasse, in die jeder hineinschreibt, was er will, ohne dass die Begriffe des individuellen geistigen Eigentums, der Entwicklung eines Gedankens, der geistigen Epoche eine Rolle spielten. Dabei versteht sich von selbst, dass die Entstehungsgeschichte jedes Beitrags sorgfältigst dokumentiert ist. Auch von einer Anonymität kann nur bedingt gesprochen werden; tatsächlich ist sie dennoch oft der Fall, indem Autoren und Beiträger sich nicht in jedem Fall mit der bürgerlichen Identität zu erkennen geben, ggf. nur eine IP-Adresse im Log vermerkt wird. Doch das ist keineswegs das Wesentliche. Weitaus gewichtiger ist das fehlende Interesse an der Urheberschaft seitens des Lesers eines Wikipedia-Beitrags. Wer jenseits akademischer Studien machte sich schon die Mühe, die Entstehung eines Wikipedia-Artikels haarklein von seiner ersten bis zur aktuell letzten Version zu verfolgen? In ehrwürdigen Enzyklopädien sind die Beiträge oft namentlich gekennzeichnet, etwa im Historischen Wörterbuch der Philosophie. Der Wikipedia ist dieses Konzept gänzlich fremd und widerspricht ihrem Grundverständnis eklatant. 

So mag es scheinen, dass wir gegenwärtig wieder auf dem Weg zu einem ahistorischen Bewusstsein sind, zu dem Bewusstsein eines reinen Gegenwartsmenschen. Diesem läge keineswegs das Fehlen historischer Aufzeichnungen zugrunde, sondern vielmehr ihre überbordende Fülle. Jedenfalls würde sich damit der dialektische Kreis in der Entwicklung der Kulturen schließen und in die nächste Iteration eintreten. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich aus den Gegebenheiten der Gegenwart ein neuer Geist entwickelt.

Sonntag, 15. August 2010

Vom Recht und Unrecht auf's tote Tier

In Ausgabe 33/2010 der ZEIT fragt Iris Radisch im Feuilleton "Wer darf wen töten und warum?" (S. 41f)

Also: Warum essen wir Tiere? Die Gründe sind so einfach wie banal. Weil wir es können! Weil ihrVerzehr in dunklen Vorzeiten, vielleicht bis in die nicht allzu ferne Vergangenheit, einmal die eigene Überlebenswahrscheinlichkeit und die des Clans erhöhte. Weil sich seit dieser Zeit eine Kultur um das Fleisch entwickelte, den des Fleischgenusses ebenso wie seine Produktion. Weil die Konzerne, die Fleisch produzieren, eine erhebliche Wirtschaftsmacht darstellen, die kaum leicht vom Vegetarismus zu überzeugen sein dürften.

Man möge mich nicht falsch verstehen: Auch ich bin ein (Semi-)Vegetarier, esse kein Säugetier, dafür aber durchaus und auch mit Genuss Geflügel und Meeresgeschnetz. Mein Entschluss, künftig auf den Konsum von Säugetierfleisch zu verzichten - er liegt mittlerweile 12 Jahre zurück -, rührt von einer kurzen Film-Dokumentation (ein Vorfilm in einem kommunalen Kino) eines Schweinelebens: vom Wurf bis zum Haken, an dem es ausblutete. Diese Bilder reichten aus, mein diffuses Unwohlsein beim Fleischkonsum endlich auf den Punkt zu bringen - diese Massentierhaltung von Säugetieren, die wir letztlich auch selbst sind, konnte und wollte ich nicht mehr unterstützen. So ist es bis heute geblieben und in dieser Hinsicht stimme ich Frau Radisch zu. Dennoch handelt es sich bei ihrem Artikel in meinen Augen um einen überaus ärgerlichen.

Denn: welches Recht der Mensch hätte, Tiere zu essen, fragt sie. Ja, welches Recht? Als gäbe es so etwas jenseits der Sphäre des Menschen. Eine Art Naturrecht wohl gar? Ein göttliches? Sollte man von dieser Idee nicht mindestens ebenso geheilt sein, wie vom Hang zum toten Tier? Recht hat man nicht, man bekommt es. Es wird einem zugesprochen (im Gerichtsprozess). Dass man Recht besitzen zu glaubt, ist nichts als eine alltagssprachliche Verkürzung. Und das menschliche Recht ist (Zwischen-)Ergebnis eines endlosen Aushandlungsprozesses zwischen den verschiedenen Parteien. Wer dies anders sieht, wird zwangsläufig in die Situation kommen, sein Recht, das er zu besitzen meint, als göttlich (oder wie auch immer) legitimiert anzusehen und zu verteidigen. Welches Leid, welche Not diese Vorstellung über die Menschheit brachte, bedarf, so denke ich, keiner weiteren Erläuterung.
Was folgt daraus? Der Mensch hat durchaus kein Recht, Tiere zu essen, doch er bedarf auch keines! Zumindest nicht solange, bis sich eine hinreichend große Partei für den Schutz der Tiere einsetzt. Die dann ihrerseits in verzwickte ethische Fragen gerät. Etwa, inwiefern der Löwe die Gazelle so gänzlich unter Missachtung jeglicher Tierschutzkonventionen bei lebendigem Leib verspeisen darf. Sollte man ihn von diesem Tun nicht ebenso abhalten, wie einen Pittbull, der einen Menschen zu beißen droht? Ach so, mag man da hören, das widerspräche der Natur des Löwen. Als würde die existieren jenseits der menschlichen Vorstellungen. Und die Gazelle wird sich "bedanken" für diese halbseidene Entschuldigung ihrer Tötung.
Wer es wirklich ernst meint mit dem Tierschutz kommt nicht umhin, auch in die "natürliche" Ordnung der Dinge einzugreifen, die Savanne sauber zu teilen in den Bereich der Löwen und den der Gazellen, und jeden Versuch einer Grenzübertretung sorgfältig zu vereiteln. Eine lächerliche Vorstellung? Ja nun...

Das Naturrechtliche lasse man also dort, wo es hingehört - in der Mottenkiste der Philosophiegeschichte. Viel mehr Aufmerksamkeit verdienen praktische Ansätze: mit dem Festhalten an der Massentierhaltung schädigen wir uns selbst mehr, als uns bewusst ist. Das tägliche Schnitzel, das Steak, die Grützwurst (deren spezielle Zubereitung auch gerne als "Tote Oma" bezeichnet wird und das Auge des Ästhetikers auf's empfindlichste beleidigt) auf den Tellern von uns Bildschirmarbeitern wird man nur dann verbannen können, wenn man die Konsumenten vom Nachteil der Fleischproduktion nachhaltig überzeugt. Nicht mit pseudoromantischhippiehaftem Wohlfühlgefasel, sondern klaren Ansagen über die gesamtgesellschaftliche Kosten, die dieser Lebenswandel mit sich bringt.

Sicher - auch dies wird nicht gleich jeden von seiner Speise abhalten. Denn wieviele genießen noch immer die Freiheit und Flexibilität, die uns das Auto bietet, wohlweißlich, dass es letztendlich sowohl Mensch als auch Natur zum Nachteil gereicht. Und wer betrachtet schon die Gesamtökobilanz seines Laptops...? Aber es wäre schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Was braucht es noch? Zum Beispiel gestaffelte Steuern auf Fleisch, je nach Produktionsart: den niedrigsten Steuersatz auf das Fleisch der glücklichen Kuh, den höchsten auf Fleisch aus nicht artgerechter Haltung. Was wird passieren? Fleisch wird (auf transparente Weise) teurer, man kann wählen (was vielen eine Gut an sich ist) und hat womöglich sogar die Fleischindustrie auf seiner Seite, die sich allerdings wird umstellen müssen. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Flächen für Nutztierhaltung nicht übermäßig wachsen, um nicht auf der anderen Seite Schäden zu provozieren, etwa durch Abholzung von Wald. Und dass die Besteuerung nicht nur für einheimisches Fleisch gilt, sondern auch für importiertes.

Man darf nicht blauäugig sein - eine solche Umstellung bedarf erheblicher politischer Umsetzungskraft. Nicht nur die Fleischlobbyisten werden Sturm laufen. Auch von vielleicht unerwarteter Seite wird Kritik laut werden, etwa von Vertretern der sozial schwächer Gestellten. Denn gutes Fleisch würde damit wieder zu dem Luxusgut, das es früher einmal war. Kaum wahrscheinlich, dass dieser (künstliche) Bruch im Sozialgefüge allseits toleriert werden wird. Es wird weniger Fleisch verzehrt werden, und es werden die Einkommensstärkeren sein, die dies tun. Unglücklicherweise wird sich vermutlich just dort die Einsicht um die Notwendigkeit einer Verringerung des Fleischkonsums schneller durchsetzen, als in den einkommensschwächeren Schichten. Nun, das ist dann ein anderes Problem...

Was ist also das Fazit: Die Fleischproduktion muss gedrosselt, der Fleischkonsum reduziert werden. Doch erreicht man dies nicht mit windigen Verweisen auf ein Naturrecht, das es so nicht gibt, sondern durch pragmatische Ansätze. Die ethische Untermauerung mag hier hilfreich sein, notwendig ist sie keineswegs.

[Update: Hier der Link auf den Originalartikel bei ZEIT-Online, der zum Zeitpunkt der Erstellung  dieses Beitrags noch nicht online verfügbar war.]

Freitag, 2. Juli 2010

Gottesfurcht als Bildungsziel

Fefe hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass in der bayrischen Verfassung die Ehrfurcht vor Gott als erstes Ziel der (staatlichen?) Erziehung festgeschrieben ist. Allerdings nicht allein dort. Die Gottesfurcht findet sich tatsächlich auch in drei weiteren Landesverfassungen als primäres Erziehungsziel: Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Bevor jetzt aber jemand auf die Idee kommt zu vermuten, der Bezug auf Gottesfurcht im staatlichen Erziehungswesen würde zum guten Abschneiden im nationalen Bildungsvergleich beitragen, sei noch darauf hingewiesen, dass zwar mit Baden-Württemberg (Platz 3) und Bayern (Platz 4) gottesfürchtige Länder vordere Plätze belegen. Hingegen rangiert Rheinland-Pfalz (Platz 8) im Mittelfeld und Nordrhein-Westfalen (Platz 15) trotz Verweis auf den lieben Gott sogar an vorletzter Stelle. Sachsen (Platz 1) und Thüringen (Platz 2) indes kommen offenbar ganz gut auch ohne Verweis auf höhere Mächte hinsichtlich der Erziehung aus. (Wobei man allerdings einräumen muss, dass der Verweis auf Gott auch in div. Präambeln gegeben ist, z.B. in Niedersachsen und Thüringen.)
Nunja, vielleicht gilt ja auch im Bezug auf das Bildungswesen: "Sire, ich hatte diese Hypothese nicht nötig..." Womit sie sich bequem herauskürzen ließe...
(Quelle für die Platzierungen: Bildungsmonitor)

Hier mal die entsprechenden Artikel der jeweiligen Landesverfassungen:

Verfassung des Landes Baden-Württemberg
Artikel 12
(1) Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.
(Quelle)

Verfassung des Freistaates Bayern
Artikel 131
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.
(Quelle)

Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen
Artikel 7
(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

(2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.
(Quelle)

Verfassung für Rheinland-Pfalz
Artikel 33
Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit, zur Liebe zu Volk und Heimat, zum Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt, zu sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit und in freier, demokratischer Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung zu erziehen.
(Quelle)

Sonntag, 23. Mai 2010

"Hacker in Government" - wirklich wünschenswert?

Auf der SIGINT10 (Köln, 22.-24.05.2010) hielt Nick Farr einen Vortrag, in dem er die Vorteile diskutierte, die sich seiner Ansicht nach ergeben würden, wenn "Hacker" die politische Arbeit übernähmen.

Dabei geht bereits die Grundvoraussetzung fehl: Während Programmierer (hier: Hacker als besonders befähigte Programmierer) dem System außen vor stehen, also nicht ein Bestandteil desselben darstellen, gilt dies für Politiker keineswegs. Sie sind inhärente Elemente des politischen Systems und damit unmittelbar von den Änderungen am System betroffen. Das mag einer der Gründe sein, die zu dem wohlbekannten, zuweilen wachsweichen "Politikersprech" führen. (Farr sprach von Politikern als Lügnern, die höfliche Lügen erzählen, während seiner Ansicht nach Hacker eher unhöfliche Wahrheiten sagen...)

Ein Programmierer kann bspw., da er nicht integraler Bestandteil des von ihm betrachteten Systems ist, dieses gemäß seinen Möglichkeiten bearbeiten, testen, ändern, testweise zum Absturz bringen, um daraus Schlüsse über zugrundeliegende Fehler zu ziehen usw. Er selbst wird von den Auswirkungen dieser Tests nicht beeinflusst. Stürzt das Programm ab, kann er den Code abändern und den Test erneut starten. Politiker dagegen unterliegen unmittelbar den Auswirkungen ihrer Handlungen. So zeitigen radikale politische Entscheidungen zuweilen radikale gesellschaftliche Reaktionen, was im besten Fall zu einer "Abwahl" des entsprechenden Politikers führt. Zieht man die Parallele zum Programmierer, würde nach einem fehlerhaften Programmtest nicht (nur) dieses abstürzen, sondern auch der Programmierer... ;-)

Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der fundamentalen Differenz der jeweiligen Systemkomponenten (Software hier, Gesellschaft/bürokratischer Apparat da). Hard- und Softwarekomponenten, Programmelemente/Funktionen/Subroutinen usw. besitzen keine eigenen Intentionen; sie lassen sich problemlos ändern und ggf. löschen. Mitarbeiter von Behörden und des politischen Betriebs hingegen reagieren eigenständig (und zuweilen unvorhersehbar); sie können nicht beliebig manipuliert werden. Das gilt im übrigen auch für die Institutionen/Behördenbereiche, die von den jeweiligen Mitarbeitern konstituiert werden. Solche Systeme sind nur sehr bedingt beeinflussbar. So können bspw. Weisungen anders ausgelegt werden, als vom Ersteller intendiert, Arbeitsaufträge lassen sich beliebig verschleppen (mag man als Antragsteller auf dem "Amt" auch schon mal erlebt haben), oder man ist schlicht "nicht zuständig".

Bereits diese beiden Punkte sollten zu einiger Skepsis hinsichtlich der Überlegung führen, politische Arbeit mit Methoden das Programmierens (hier gemeint: des Hackens) zu leisten. Ein Hörer des Vortrags gab darüber hinaus in der Diskussion zu bedenken, dass sich Hacker oftmals nicht recht erklären könnten (insb. gegenüber Nicht-Hackern). Politische Arbeit ist jedoch gerade zu einem hohen Teil „Verkaufstätigkeit“ (gegenüber wem auch immer). Dass Programmierer dagegen vielleicht nicht immer die erste Wahl für den Verkauf sind, zeigt sich auch darin, dass Entwicklung und Vertrieb in Softwarefirmen meist von separaten Abteilungen durchgeführt werden.

Das alles spricht natürlich überhaupt nicht gegen eine politische Betätigung von Programmierern/Hackern! Davon lebt Demokratie!! Die obige Anmerkung soll nur davor warnen, allzu unbedarft die Mentalität des Hackertums ins politische Geschäft übertragen zu wollen. Wobei natürlich gegen die Grundintention Farrs, nämlich nur dann Entscheidungen zu treffen, wenn man eine Sachverhalt wirklich durch und durch verstanden hat, nun wirklich überhaupt nichts einzuwenden ist.

Donnerstag, 1. April 2010

Ich verachte Leute, die sich, weil ihnen der eigene Ballast fehlt, mit den Problemen der Welt belasten. Der Mensch, der ewig über den Zustand der Menschheit beunruhigt ist, hat entweder keine eigenen Probleme oder weigert sich, ihnen ins Auge zu sehen. Ich spreche von der großen Mehrheit, nicht von den wenigen, die sich befreit und die Dinge durchdacht haben und damit priviligiert sind, sich mit der ganzen Menschheit zu identifizieren, und auf diese Weise den größten Luxus genießen, den es in dieser Welt gibt: zu dienen.
(Henry Miller, Sexus, S. 192)

Montag, 22. Februar 2010

"Man gelangt nicht billig dazu, ein großer Mann zu werden", sagte Daniel mit seiner sanften Stimme. "Das Genie begießt seine Werke mit seinen Tränen. Das Talent ist auf geistigem Gebiet ein Geschöpf, das, wie alle lebendigen Wesen, eine Kindheit hat, die von Krankheiten nicht verschont bleibt. Die Gesellschaft stößt die unvollkommenen Talente zurück, wie die Natur die schwachen oder mißgebildeten Geschöpfe vernichtet. Wer sich über die Menschen erheben will, muß sich zu einem Kampf rüsten, darf vor keiner Schwierigkeit zurückschrecken. Ein großer Schriftsteller ist ein Märtyrer, der nicht sterben kann. [...]
Wenn Sie nicht in der Brust den Willen haben, wenn Sie nicht die himmlische Geduld haben, wenn Sie nicht in dem Augenblick, wo die Launen des Geschicks Sie weit vom Ziel schleudern, wenn Sie da nicht, wie die Schildkröten, die, wo sie auch sein mögen, den Weg zu ihrem geliebten Meere einschlagen, gleich wieder unverzagt nach Ihrer Unendlichkeit streben, dann geben Sie den Kampf gleich heute auf."
"Sie machen sich also auf Leiden gefaßt?" fragte Lucien.
"Auf Prüfungen aller Art, auf die Verleumdung, den Verrat, die Ungerechtigkeit meiner Rivalen, auf die Unverschämtheiten, die Schliche, die Geldgier der Handelsleute [...]"
(Balzac, Verlorene Illusionen, Insel, S. 251f)