Freitag, 26. Dezember 2008

Business Ethics

In seinem Beitrag "Die Höhle verlassen!" schlägt Markus Holzbrink das Gebiet business ethics als ein in der Alltagswelt verankertes Gebiet vor, das seitens philosophischer Ethiker behandelt werden könnte.

Sofern unter dieser Behandlung eine philosophisch-distanzierte Analyse des Gebiets verstanden wird, kann dem Vorschlag Holzbrinks zugestimmt werden: Genau in solchen Analysen liegt die Kompetenz der Philosophie.

Sollte Holzbrink jedoch der Ansicht sein, Philosophen sollten im Rahmen tatsächlicher Firmenaktivitäten direkt beratend tätig sein, ist allergrößte Skepsis angebracht:
Viele Manager wissen heute, dass die Lösungen dieser komplexen Fragestellungen [der normativen und moralischen Problemkomplexe, mit denen jedes Unternehmen heute konfrontiert wird, Soph.], die hier erörtert werden müssen, eine bessere Aussicht auf Erfolg haben, wenn in der ethischen Problematik geschulte fachleute bei den Diskussionen und Entscheidungen mitwirken.
(Holzbrink, S. 40)
Firmen und Unternehmen mögen es unter Umständen für geboten erachten, sich einen Hof-Philosophen zu halten, der ihnen bei der Beantwortung und Deutung ethischer Fragestellungen behilflich ist. Dabei versteht es sich von selbst, dass dies nur im Sinne der Profitmaximierung geschehen kann. Insofern die Probleme in der Finanz- und ökonomischen Verwertungkultur selbst verwurzelt sind, und das sind sie i.d.R., kann ein philosophischer Ratschlag nur zu Ungunsten des Unternehmens ausfallen. Was ihn für selbiges wertlos werden lässt.

Ergo: Philosophie und Betriebsökonomie sind komplementäre Kulturen, die nur um den Preis gegenseitiger Zugeständnisse aufeinander bezogen werden können. Zum Nachteil beider.

Quelle: Markus Holzbrink, Die Höhle verlassen! Ein Plädoyer für die Geisteswissenschaften, in: Ludger Heidbrink, Harald Welzer (Hrsg.), Das Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften. Beck'che Reihe 2007, S. 39.

Samstag, 25. Oktober 2008

Preisfrage 2008 der Jungen Akademie

Die Junge Akademie hat, wie bereits in den letzten Jahren, eine Preisfrage veröffentlicht:

Welchen Raum braucht das Denken?

Symposium in Berlin: WAS IST HEUTE HUMANISMUS?

Aus der letzten Rundmail der Giordano-Bruno-Stiftung:
In Zusammenarbeit mit der "Humanistischen Akademie Deutschland" (HAD) veranstaltet die "Akademie der politischen Bildung der Friedrich-Ebert Stiftung" (fes) vom 15. - 16. November eine Fachtagung unter dem Titel "Was ist heute Humanismus?". Am ersten Veranstaltungstag werden zahlreiche renommierte Experten und Wissenschaftler, u.a. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (Staatsminister a.D), Prof. Dr. Frieder Otto Wolf (Präsident der HAD), Dr. Michael Schmidt-Salomon (Vorstandssprecher der gbs) und Dr. Horst Groschopp (Präsident des Humanistischen Verband Deutschlands) Vorträge zum Thema halten. Am zweiten Veranstaltungstag wird eine Podiumsdiskussion zum Thema "Neuer Atheismus und politischer Humanismus - Bedeutung für Konfessionsfreie" mit Statements von Repräsentanten der freigeistigen Organisationen "Jugendweihe Deutschland", "Humanistischer Verband Deutschland", "Die Humanisten Würtemberg", "Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten", "Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften" und "gbs" stattfinden.
Tagungsleitung: Dr. Johannes Kandel / Dr. Horst Groschopp

Veranstaltungszeiten:
Samstag,15. Nov.: 10.00 Uhr – 20.00 Uhr
Sonntag, 16. Nov.: 10.00 Uhr – 13.00 Uhr

Veranstaltungsort:
Akademie der politischen Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin

Tagungsprogramm als PDF


Samstag, 18. Oktober 2008

Bolzplatz der Philosophie

Der Zeitgeist treibt zuweilen manch seltsame Blüte. Dies ist gewiss keine neue Erkenntnis, neu indes ist, dass nun auch die ehrwürdige Philosophie zum Spielball des gegenwärtigen Bildungsniedergangs zu werden scheint.

So berichtet SPIEGEL-Online in einem Artikel vom 17. Oktober über "Gedanken-Wrestling für Spontane": dem Versuch einer Übertragung des Poetry Slam-Formats auf das Gebiet der Philosophie. Auch in der Online-Ausgabe der Information Philosophie war bereits am 4. September ein ausführlicher Artikel zum Thema erschienen, der auch genaue Terminangaben und Ansprechpartner nannte. (Der Artikel aus der Rubrik "Neuigkeiten" ist in der Online-Ausgabe inzwischen nicht mehr zugreifbar.)

Dem literarischen Vorbild, einer "kneipentauglichen Variante der Literaturlesung", besser übersetzt mit "Literaturbolzen", frei folgend ist ein erst am Abend selbst bekannt gegebenes Thema in einer 45minütigen Vorbereitungszeit zu behandeln und dann später in einem 5-7minütigen Vortrag zu präsentieren. Mit Kreativität und Spontaneität sollen so Ergebnisse spontanen Nachdenkens erzielt werden, gemäß dem Motto: "raus aus dem Elfenbeinturm".

Nun geht die Intention, Philosophie heraus aus dem universitären Elfenbeinturm zu bewegen, sicher nicht fehl. Gerade die fehlende Verankerung der Philosophie in der Gesellschaft trägt einen nicht geringen Teil zu dem inhaltlich schwachen Stand Disziplin dar. Doch ist die Agora tatsächlich der rechte Ort für die Philosophie? Hat Friedrich Nietzsche nicht eher vor den "Fliegen des Marktes" gewarnt?

Sicher ist nichts gegen das öffentliche Vortragen von philosophischen Texten, durchaus populär-philosophischer Natur, einzuwenden. Doch welche Ergebnisse können unter den genannten Bedingungen erreicht werden? Keinesfalls doch sorgfältig erwogene Gedanken, sondern bestenfalls oberflächlich schnell aufpolierte, vielleicht sogar glänzende, blendende Redebeiträge.

Sowohl die Umstände der Textgenese, als auch Vortragsdauer und Rezeption erscheinen alles andere als geeignet, wirkliche Philosophie zur Geltung zu bringen; bestenfalls können die Beiträge als Splitter eines philosophischen Diskurses gewertet werden. Philophische Gespräche, als wesentliche Diskursbeiträge, wie sie z.B. in den Dialogen Platons vorgeführt werden, bieten die Möglichkeit, eigene und fremde Vorstellungen im wechselseitigen Gespräch kritisch abzuwägen. Ein Kurzmonolog von maximal 7 Minuten Dauer kann so im besten Fall als ein Redebeitrag gewertet werden - doch eine Wechselrede findet ja überhaupt nicht statt.

Es bleibt lediglich die Hoffnung, dass "Philosophy Slams" das allgemeine Interesse an Philosophie, das ja tatsächlich vorhanden ist, weiter schüren. Doch erscheint das Format kaum geeignet, Persönlichkeits- und Geistsbildung zu fördern, sondern vielmehr eine sprachlich-argumentative Gewandheit, die (platonisch gesprochen) eher den Sophisten zukommt; heute würde man von Rechtsanwälten sprechen. Sollte dies der Weg in die Zukunft der Philosophie sein? Es bleibt zu hoffen, dass es da und dort noch Abzweigungen gibt, die nach oben führen: weg von dem Ansinnen der Menge nach Unterhaltung, hin zu einem intensiveren geistig-philosophischen Leben.

"Philosophy Slams", dieses Urteil sei gestattet, haben mit Philosophie soviel zu tun wie "Indiana Jones" mit Archäologie.

Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betäubt vom Lärme der grossen Männer und zerstochen von den Stacheln der kleinen.
(Friedrich Nietzsche,
Also sprach Zarathustra)

Montag, 6. Oktober 2008

Entdecker und Verwalter

Bei zahlreichen Philosophen finden wir kritische Aussagen zum Habitus des Gelehrten. Hier ein entsprechendes Zitat aus Francis Bacons Novo Organum:
In den Gebräuchen und Einrichtungen der Schulen, Akademien, Kollegien und ähnlichen Institutionen, an denen Gelehrte ihre Lehrstühle haben und die Bildung kultiviert werden soll, zeigt sich alles dem Forschritt der Wissenschaft entgegengesetzt. Die Vorlesungen und Übungen sind so angeordnet, dass Gedanken außerhalb des Gewohnten keinem leicht in den Sinn kommen. Wenn aber der eine oder andere sich die Freiheit des Urteils nimmt, dann ist er ganz auf sich gestellt und hat von seinen Kommilitonen keine Hilfe. wenn er dies aushält, dann wird er in seinem Fleiß und seinem Großmut schwere Behinderungen seines weiteren Schicksals erfahren. Er wird als Aufrührer und als auf Neuigkeiten Versessener verachtet werden.
(N.O. I, Aph. 90)
Nun kann es keinen Zweifel an der Richtigkeit von Bacons Urteil zu seiner Zeit geben. Doch gilt dies heute in gleichem Maße? Der Unterricht an den Universitäten heute, am "Ende des Bacon'schen Zeitalters", setzt sich radikal von seinem historischen Vorläufer an der spätmittelalterlichen Universität ab. Heute dominiert in den Naturwissenschaften (noch) der Fortschrittsgedanke und in den Seminaren der Geisteswissenschaften wird in den meisten Fällen rege diskutiert.

Dennoch bleibt eine Restunsicherheit: Könnte es nicht sein, dass die Universität als Institution auch heute noch eher den Verwalter-Typus denn den Entdecker-/Revolutionär-Typus schätzt? Sind Professoren doch Lehr-Beamte, also Verwalter der staatlichen anerkannten Meinung und zu deren Erhalt, Pflege und Fortentwicklung eingestellt. Entdecker und Revolutionäre, so wichtig sie für die Entwicklung der Wissenschaften und der Philosophie in der Vergangenheit stets waren, stellen doch in erster Linie eine Bedrohung für das bestehende System, sowohl des abstrakten Wissensgebäudes wie auch der konkreten Person der Kollgen, dar.

Aus diesem Grund sollte sich niemand, der eine neue Sicht der Dinge entwickeln möchte, auf die Universität als sicheres Milieu verlassen. Bleibe unabhängig! In einem normalen Brotberuf wirst du deine Kraft vergeuden, doch dein Geist bleibt ungebeugt. An der Universität droht die Korruption des Geistes aufgrund des (natürlichen und verständlichen) Strebens nach Lob, Anerkennung und Erfolg. Denn der Professor lobt nur den, der nach ihm kommt - in beiderlei Sinn.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Bedürfnisbefriedigung

Ausgangpunkt für die folgenden Überlegungen war u.a. folgender Film: Consumerism in the movies


Reflexion:

Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die freie Marktwirtschaft eine der besten gesellschaftlichen Formen darstellt, die materiellen Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen, ja es lässt sich nicht einmal ausschließen, dass es keine bessere als sie gibt. Als Beleg für diese Aussage sei auf den wachsenden materiellen Wohlstand verwiesen, der im Durchschnitt in Gesellschaften herrscht, die marktwirtschaftlich (im Ggs. zu planwirtschaftlich) ausgerichtet sind.

Die Maschine der Marktwirtschaft läuft permanent, beständig auf der Suche nach bislang unbefriedigten Bedürfnissen, die es noch zu versorgen gilt. Sie ist in dieser Hinsicht einem einfachen Organismus vergleichbar, einer Fliege etwa oder einer Art Braitenberg-Vehikel, der stets auf ein subjektiv definiertes Optimum hin steuert, wie eine Fliege in der Dunkelheit zum Licht strebt.

Im Falle einer äußerlichen Mangelsituation, in der sich in vielerlei Hinsicht auch die westlichen Gesellschaften noch im 19. Jahrhundert und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein befanden, ist eine solche "Braitenberg'sche Marktwirtschaft" ein hervoragendes Vehikel zur Beseitigung des Mangels.

Doch was, wenn der Mangel hinreichend beseitigt ist? Ähnlich einem Hochofen, der permanent betrieben wird und nie heruntergefahren werden darf, muss auch die Marktwirtschaft stets ihren Betrieb aufrecht erhalten. Ein zeitweiliges "Herunterfahren" führt zu einer nachhaltigen Störung des Systems, da wesentliche Strukturen, materielle wie gesellschaftliche, sehr bald zum Verfall neigen.

Um weiterhin den Betrieb aufrecht erhalten zu können, und ihn vielleicht noch zu steigern, müssen, falls alle materiellen Bedürfnisse ab einem bestimmten Zeitpunkt befriedigt sind bzw. Strukturen geschaffen wurden, die eine dauerhafte Befriedigung gewährleisten (es entstehen ja permanent neue Populationsmitglieder), neue Bedürfnisse geschaffen werden.

An dieser Stelle greift der Optimierungsmechanismus der Werbung, der nun nicht mehr nur die verschiedenen geschaffenen Produkte für vorhandene Bedürfnisse vorstellt (und ihre jeweiligen vermeintlichen oder tatsächlichen Vorzüge anpreist), sondern für vorhandene Produkte versucht, Bedürfnisse, sprich: Absatzmärkte zu schaffen. Der bisherige Regulationsmechanismus der Marktwirtschaft erweist sich mit einem Mal als unterkomplex: Die Fliege droht in der Hitze der Flamme, die sie wegen der Helligkeit ansteuert, zu verbrennen. Selbstverständlich wirkt das Überschreiten des Sättigungspunktes gesellschaftlich nicht letal, sondern er markiert eine Invertierung der Machtverhältnisse (vgl. dazu auch Hegel: Herr und Knecht): der Unterstützungsmechanismus, als Mittel zur Erreichung eines Zwecks hin entworfen, setzt nun selbst die Ziele, wird selbst(-) Zweck.

Konkret bedeutet dies eine "Versklavung" des Menschen unter den Mechanismen des Marktes.

Strittig sind nun die Fragen nach Notwendigkeit und Möglichkeit einer Nachregelung: Muss die Marktwirtschaft nachgeregelt werden? Worin liegen die negativen Effekte einer sog. "Versklavung"? Trifft der Leidensdruck nicht vielmehr nur eine sich selbst als intellektuell begreifende Schicht, der aber damit auch schon die Möglichkeit an die Hand gegeben ist, sich dem Marktdruck zu entziehen, während für alle übrigen weder Notwendigkeit noch Bedürfnis besteht, dies zu tun? Diese und weitere Fragen bleiben bis auf weiteres offen...

Samstag, 4. Oktober 2008

Für wen schreiben?

Eine der dringlichen Fragen, die sich bei jedem, der schreibt, früher oder später einmal stellt, lautet: Für wen schreibe ich?

Erwerbsmäßige Schriftsteller schreiben selbstverständlich für ein zahlendes Publikum - und sind dementsprechend dessen Wünschen sowie der Marktlage verpflichtet.

Freie Autoren genießen die Freizügigkeit, schreiben zu können, was sie wollen - ohne doch sicher davon ausgehen zu können, dass sie auf diese Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Die Probleme beider Formen hat Gabriele Bärtels in der ZEIT (45/2007) ausgeführt: Schreiben macht arm.

Aus bürgerlicher Sicht, der die Sicherung der eigenen Existenz ein vorrangiges Ziel darstellt, rückt das Schriftstellertum prioritär in den Hintergrund: Schreiben nur, wenn die Lebensgrundlage gesichert ist - oder wenn das Schriftstellertum diese sicher gewährt.

Doch es gibt neben diesem bürgerlichen noch einen weiteren Grund, seine Existenz nicht auf Schriftstellerei - sei sie belletristisch oder journalistisch - zu gründen: Die denkerische Unabhängigkeit. Sobald Pegasus vor den Pflug gepannt ist, verliert er seine Kraft zu fliegen.

Schreiben zuerst für sich selbst - zur Aneignung und Interpretation der Welt, inklusive seiner selbst. Dann für Freunde. Dann für alle anderen. Ein Weg zu geistiger Unabhängigkeit.

Und wenn mich überhaupt niemand lesen wird - heißt das denn, mich so viele Mußestunden mit derart nützlichen und angenehmen Betrachtungen unterhalten zu haben sei verlorene Zeit für mich gewesen? Indem ich dieses Porträt nach mir formte, mußte ich, um die wesentlichen Züge aus mir herauszuholen, derart oft die rechte Haltung einnehmen, daß das Modell selbst erst feste Konturen darüber gewonnen hat, sich gleichsam selber erst durchgestaltet hat. Indem ich für mich malte, legte ich klarere Farben in mir frei, als sie es ursprünglich waren. Ich habe mein Buch nicht mehr gemacht, als es mich gemacht hat [...]
Michel de Montaigne, Essais,
hrsg. von Hans Stilett, "Wenn man einander des Lügens bezichtigt", S. 330

Gregor Brand

Es erscheint selbstverständlich, dass trotz einer gewissen Technophobie, die bei geisteswissenschaftlich orientierten Menschen doch immer noch vorherrscht, auch im Internet manch reife Geistesfrucht zu finden ist. So findet sich bei Recherchen z.B. die Seite von Gregor Brand:

Homepage: www.gregorbrand.com
Blog: gregorbrand.twoday.net

Bereits beim ersten Überfliegen der Einträge fallen zahlreiche erfrischende Aphorismen auf:

Süß und ehrenvoll.
Die Geschichte der Menschheit wäre vernünftiger verlaufen, wenn man nicht die Menschen, sondern die Ideen belehrt hätte, dass es süß und ehrenvoll ist, wenn sie für das Vaterland sterben.
(Quelle)

Freiheit und Gesellschaft.
Will man in einer Gesellschaft, in der fast alles erlaubt ist, frei bleiben, muss man sich vieles verbieten.
(Quelle)


Freitag, 3. Oktober 2008

Der erste Satz ist der schwerste

Gut, auch dieser Hype ist überstanden, die Wogen haben sich längst schon geglättet; Zeit darüber nachzudenken, ob man nicht auf der bereits auslaufenden Welle sich noch eine Weile treiben lassen könnte: das Blog ist inzwischen eine etablierte Form des Gedankenaustauschs im Internet, das keinerlei Aufregung mehr provoziert - zumindest was die Form anbelangt.
Kein Freund des leider immer stärker um sich greifenden Web-Exhibitionismus, habe ich schon früh die Möglichkeit einer eigenen Homepage ausgeschlagen, längst bevor das WWW zu einem Massenmedium avancierte. Stets kritisch hinsichtlich der Chancen und Risiken, war ich mehr Beobachter als Akteur, und nutzte doch die vielfältigen Möglichkeiten, die das Netz zu bieten hat, allen voran selbstverständlich die Wikipedia. Warum nicht nun auch etwas zurück geben - und sich dadurch ein wenig unter Druck setzen, zu schreiben.

Und warum auch nicht?, haben es doch andere vorgemacht, allen voran Michel de Montaigne, der mit seinen Essais stilbildend wirkte. Auch er schrieb, wenn schon nicht einfach drauf los, so doch zumindest jedem akademischen Duktus abhold, und er schrieb durchaus Persönliches:
Dies hier sind vielmehr meine persönlichen Überlegungen, durch die ich nicht die Kenntnis von Dingen zu vermitteln suche, sondern von mir. [...] Deshalb habe ich keinerlei Gewissheit zu bieten, es sei denn darüber, welchen Stand die Erkenntnis meiner selbst zur Stunde erreicht hat. So achte man nicht auf den Stoff, sondern auf die Form, in der ich ihn wiedergebe: plaudernd, reflektierend und bald fürs Pro plädierend, bald fürs Kontra. [...] Ich habe keinen anderen Hauptfeldwebel, meine Stücke in Reih und Glied zu stellen, als den Zufall. Wie die Phantasiegebilde sich bei mir einfinden, stapel ich sie auf; manchmal drängen sie sich zuhauf, manchmal kommen sie in dünner Reihe angetrödelt. Ich will, dass man mich in meiner üblichen Gangart sehe, so unüblich sie ist.
Michel de Montaigne, Essais,
hrsg. von Hans Stilett, "Über Bücher", S. 201
In diesem Sinne soll dieses Blog verstanden werden.