Sonntag, 15. August 2010

Vom Recht und Unrecht auf's tote Tier

In Ausgabe 33/2010 der ZEIT fragt Iris Radisch im Feuilleton "Wer darf wen töten und warum?" (S. 41f)

Also: Warum essen wir Tiere? Die Gründe sind so einfach wie banal. Weil wir es können! Weil ihrVerzehr in dunklen Vorzeiten, vielleicht bis in die nicht allzu ferne Vergangenheit, einmal die eigene Überlebenswahrscheinlichkeit und die des Clans erhöhte. Weil sich seit dieser Zeit eine Kultur um das Fleisch entwickelte, den des Fleischgenusses ebenso wie seine Produktion. Weil die Konzerne, die Fleisch produzieren, eine erhebliche Wirtschaftsmacht darstellen, die kaum leicht vom Vegetarismus zu überzeugen sein dürften.

Man möge mich nicht falsch verstehen: Auch ich bin ein (Semi-)Vegetarier, esse kein Säugetier, dafür aber durchaus und auch mit Genuss Geflügel und Meeresgeschnetz. Mein Entschluss, künftig auf den Konsum von Säugetierfleisch zu verzichten - er liegt mittlerweile 12 Jahre zurück -, rührt von einer kurzen Film-Dokumentation (ein Vorfilm in einem kommunalen Kino) eines Schweinelebens: vom Wurf bis zum Haken, an dem es ausblutete. Diese Bilder reichten aus, mein diffuses Unwohlsein beim Fleischkonsum endlich auf den Punkt zu bringen - diese Massentierhaltung von Säugetieren, die wir letztlich auch selbst sind, konnte und wollte ich nicht mehr unterstützen. So ist es bis heute geblieben und in dieser Hinsicht stimme ich Frau Radisch zu. Dennoch handelt es sich bei ihrem Artikel in meinen Augen um einen überaus ärgerlichen.

Denn: welches Recht der Mensch hätte, Tiere zu essen, fragt sie. Ja, welches Recht? Als gäbe es so etwas jenseits der Sphäre des Menschen. Eine Art Naturrecht wohl gar? Ein göttliches? Sollte man von dieser Idee nicht mindestens ebenso geheilt sein, wie vom Hang zum toten Tier? Recht hat man nicht, man bekommt es. Es wird einem zugesprochen (im Gerichtsprozess). Dass man Recht besitzen zu glaubt, ist nichts als eine alltagssprachliche Verkürzung. Und das menschliche Recht ist (Zwischen-)Ergebnis eines endlosen Aushandlungsprozesses zwischen den verschiedenen Parteien. Wer dies anders sieht, wird zwangsläufig in die Situation kommen, sein Recht, das er zu besitzen meint, als göttlich (oder wie auch immer) legitimiert anzusehen und zu verteidigen. Welches Leid, welche Not diese Vorstellung über die Menschheit brachte, bedarf, so denke ich, keiner weiteren Erläuterung.
Was folgt daraus? Der Mensch hat durchaus kein Recht, Tiere zu essen, doch er bedarf auch keines! Zumindest nicht solange, bis sich eine hinreichend große Partei für den Schutz der Tiere einsetzt. Die dann ihrerseits in verzwickte ethische Fragen gerät. Etwa, inwiefern der Löwe die Gazelle so gänzlich unter Missachtung jeglicher Tierschutzkonventionen bei lebendigem Leib verspeisen darf. Sollte man ihn von diesem Tun nicht ebenso abhalten, wie einen Pittbull, der einen Menschen zu beißen droht? Ach so, mag man da hören, das widerspräche der Natur des Löwen. Als würde die existieren jenseits der menschlichen Vorstellungen. Und die Gazelle wird sich "bedanken" für diese halbseidene Entschuldigung ihrer Tötung.
Wer es wirklich ernst meint mit dem Tierschutz kommt nicht umhin, auch in die "natürliche" Ordnung der Dinge einzugreifen, die Savanne sauber zu teilen in den Bereich der Löwen und den der Gazellen, und jeden Versuch einer Grenzübertretung sorgfältig zu vereiteln. Eine lächerliche Vorstellung? Ja nun...

Das Naturrechtliche lasse man also dort, wo es hingehört - in der Mottenkiste der Philosophiegeschichte. Viel mehr Aufmerksamkeit verdienen praktische Ansätze: mit dem Festhalten an der Massentierhaltung schädigen wir uns selbst mehr, als uns bewusst ist. Das tägliche Schnitzel, das Steak, die Grützwurst (deren spezielle Zubereitung auch gerne als "Tote Oma" bezeichnet wird und das Auge des Ästhetikers auf's empfindlichste beleidigt) auf den Tellern von uns Bildschirmarbeitern wird man nur dann verbannen können, wenn man die Konsumenten vom Nachteil der Fleischproduktion nachhaltig überzeugt. Nicht mit pseudoromantischhippiehaftem Wohlfühlgefasel, sondern klaren Ansagen über die gesamtgesellschaftliche Kosten, die dieser Lebenswandel mit sich bringt.

Sicher - auch dies wird nicht gleich jeden von seiner Speise abhalten. Denn wieviele genießen noch immer die Freiheit und Flexibilität, die uns das Auto bietet, wohlweißlich, dass es letztendlich sowohl Mensch als auch Natur zum Nachteil gereicht. Und wer betrachtet schon die Gesamtökobilanz seines Laptops...? Aber es wäre schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Was braucht es noch? Zum Beispiel gestaffelte Steuern auf Fleisch, je nach Produktionsart: den niedrigsten Steuersatz auf das Fleisch der glücklichen Kuh, den höchsten auf Fleisch aus nicht artgerechter Haltung. Was wird passieren? Fleisch wird (auf transparente Weise) teurer, man kann wählen (was vielen eine Gut an sich ist) und hat womöglich sogar die Fleischindustrie auf seiner Seite, die sich allerdings wird umstellen müssen. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Flächen für Nutztierhaltung nicht übermäßig wachsen, um nicht auf der anderen Seite Schäden zu provozieren, etwa durch Abholzung von Wald. Und dass die Besteuerung nicht nur für einheimisches Fleisch gilt, sondern auch für importiertes.

Man darf nicht blauäugig sein - eine solche Umstellung bedarf erheblicher politischer Umsetzungskraft. Nicht nur die Fleischlobbyisten werden Sturm laufen. Auch von vielleicht unerwarteter Seite wird Kritik laut werden, etwa von Vertretern der sozial schwächer Gestellten. Denn gutes Fleisch würde damit wieder zu dem Luxusgut, das es früher einmal war. Kaum wahrscheinlich, dass dieser (künstliche) Bruch im Sozialgefüge allseits toleriert werden wird. Es wird weniger Fleisch verzehrt werden, und es werden die Einkommensstärkeren sein, die dies tun. Unglücklicherweise wird sich vermutlich just dort die Einsicht um die Notwendigkeit einer Verringerung des Fleischkonsums schneller durchsetzen, als in den einkommensschwächeren Schichten. Nun, das ist dann ein anderes Problem...

Was ist also das Fazit: Die Fleischproduktion muss gedrosselt, der Fleischkonsum reduziert werden. Doch erreicht man dies nicht mit windigen Verweisen auf ein Naturrecht, das es so nicht gibt, sondern durch pragmatische Ansätze. Die ethische Untermauerung mag hier hilfreich sein, notwendig ist sie keineswegs.

[Update: Hier der Link auf den Originalartikel bei ZEIT-Online, der zum Zeitpunkt der Erstellung  dieses Beitrags noch nicht online verfügbar war.]

3 Kommentare:

Lukanga hat gesagt…

Link auf den Zeitartikel von Iris Radisch: http://bit.ly/a8tJ4l
(Kommentar folgt noch)

Gruß, Lukanga

Lukanga hat gesagt…

Lieber Sophrosynos,

Deinen praktischen Überlegungen zur Reduzierung der Massentierhaltung möchte ich ein paar Gedanken hinzufügen.

Dazu möchte ich nach verschiedenen Tierarten, bzw. Haltungsformen differenzieren:

Milchviehhaltung
Jede Kuh muss jedes Jahr einmal kalben, damit sie fast ein Jahr lang Milch geben kann. 6-8 Wochen bevor sie kalbt, steht sie trocken (gibt keine Milch mehr). Mit zweieinhalb Jahren bekommen sie ihr erstes Kalb und geben dann durchschnittlich 11-12 Jahre Milch, abgesehen von der Trockenstehzeit. Von den Kälbern sind die Hälfte Bullenkälber und von den Kuhkälbern wird auch nur eines zur ausgewachsenen Kuh um die Nachfolge dieser Milchkuh anzutreten.
Diese überflüssigen Kälber werden geschlachtet. D.h. Milch trinken führt dazu, dass Tiere geschlachtet werden müssen. Das sollten sich Laktovegetarier überlegen.
Frau Radisch wirft die Haltung aller Tiere in einen Topf und geißelt die „unwirtschaftliche Vernichtung von Anbaufläche“. Dabei denkt sie vielleicht an die Extensivhaltung in Südamerika, auf die Intensivhaltung in Europa und anderen Gebieten (z.B. Indien) trifft dies nicht zu. Im Gegenteil, durch den Anbau von Leguminosepflanzen (Luzerne, Klee), die der Mensch nicht verdauen kann, wird Stickstoff gebunden, es kann auf Kunstdünger verzichtet werden. Ohne Kühe wäre eine biologische Landwirtschaft kaum denkbar.

Schweine- und Geflügelhaltung
Wenn diese nicht nur gehalten werden, um Küchenabfälle zu verwerten (mittlerweile glaube ich sogar verboten, wg. BSE), sind sie als Nahrungskonkurrenten des Menschen zu betrachten. Alleine mit dem Futter, welches die 56 Millionen Schweine fressen, die jährlich in Deutschland geschlachtet werden, könnten 200 Millionen Menschen ernährt werden. Ein Huhn frisst ca. 120g Weizen pro Tag, legt 273 Eier pro Jahr, d.h. pro Ei werden 160g Getreide verfüttert. In einem Ei steckt also schon halbsoviel Getreide wie nötig wäre um einen Menschen zu ernähren. Statt in der BRD 407 Millionen Eier im Jahr zu erzeugen, könnte man damit auch wieder 200 Millionen Menschen ernähren.

Jetzt fehlt noch das ganze Geflügel, welches gegessen wird, die Bullenmast, die Tatsache, dass die Milchkühe in nichtbiologischen Betrieben zusätzlich Kraftfutter(Getreide, Bohnen, etc.) bekommen und alle anderen Tiere.

Zur Frage der Tötung und der artgerechten Haltung
Ich bin dafür, Tiere so schmerzlos wie möglich sterben zu lassen. Ich war mehrfach auf einem Schlachthof, da konnte ich so etwas wie Frau Radisch beobachtet hat, nicht beobachten. Mit allen Tieren wurde möglichst stressfrei umgegangen, sie wurden ausreichend betäubt.
Rinder werden bei uns nach meiner Einschätzung vielleicht nicht ganz artgerecht, aber recht gut gehalten. Die meisten Schweine werden allerdings überhaupt nicht artgerecht gehalten. Schweine sollten ausreichenden Auslauf haben und brauchen vielfältige Möglichkeiten sich geistig zu betätigen. Sie sind mindestens so intelligent wie Hunde.

Ich bin kein Vegetarier, aber bewusst wenig Fleischesser.

Liebe Grüße, Lukanga

Lukanga hat gesagt…

Lieber Sophrosynos,

ich habe vergessen noch ein paar Worte zur Besteuerung von Fleisch zu sagen. Eine gute Idee, der Aufwand ist nur sehr groß. Es müsste eine Kommission viele Tage zusammen sitzen, um für jede Tierart einen Steuersatz zu bestimmen und es würde ein sehr dickes Gesetzbuch dabei herauskommen. Dazu kämen Regelungen für Import und Export.
Ich würde an einer anderen Stelle ansetzen: Änderung des Energiesteuergesetzes bzw. der Ökosteuer in der Art, dass die Verwendung von Energie zur Produktion von Kunstdünger besteuert wird. Bioprodukte würden nicht teurer, da kein Kunstdünger eingesetzt wird, pflanzliche Produkte aus konventionellem Anbau würden ein wenig teurer, tierische sehr viel stärker, je nachdem wie gut Futter von den Tieren umgesetzt wird. Tiere, die nicht nur mit pflanzlicher Kost auskommen, sondern auch tierische Ernährung brauchen, würden erheblich teurer, entsprechend ihrem Resourceneinsatz. Z.B. würden Forellen viel teurer (Fleischfresser), Karpfen dagegen nicht (Vegetarier). Schweine und Geflügel würden gegenüber Rindern teurer. Bei Rindern würde weniger Kraftfutter gefüttert.
Der Import von Kunstdünger und Futtermitteln müsste entsprechend des Energieeinsatzes besteuert werden und Fleischimporte müssten durch Zölle angepasst werden. Fischmehl und andere tierische Futtermittel müssten ebenfalls entsprechend besteuert werden. Insgesamt aber wahrscheinlich weniger Aufwand als Fleisch zu besteuern.
40 Prozent der Weltfischfänge werden inzwischen zu Tierfutter verarbeitet, ­für Garnelen und Lachse, Hühner und Schweine. Welche Verschwendung dieser wertvollen Eiweißquelle!
Vor allem Garnelen sollten viel teurer werden, weil für deren Zucht immer weiter Mangrovenwälder abgeholzt werden. Mangroven schützen normalerweise die Küste bei Stürmen. Bei einem Wirbelsturm Ende Oktober 1999 an der Ostküste Indiens sind mehrere Tausend Menschen ums Leben gekommen.
Durch Ablassen des salzhaltigen Abwassers aus den Zuchtbecken werden ganze Flüsse verseucht (Vietnam) und viele Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.

Sorry, es ergibt sich durch Betrachtung von Umweltverschmutzung und Energieeinsatz noch einmal ein völlig anderes Bild für die Frage zur Tötung von Tieren. Garnelen haben wohl eine sehr viel geringere Bewußtseinsfähigkeit als Säugetiere, aber der Schaden, der durch deren Zucht für die ganze Welt hervorgerufen wird, ist einfach riesig.

Alternative zu den Zuchtgarnelen sind Nordseekrabben zum selber Puhlen, bekommt man leider selten, oder Eismeergarnelen (laut Greenpeace)

Liebe Grüße, Lukanga