Freitag, 2. Juli 2010

Gottesfurcht als Bildungsziel

Fefe hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass in der bayrischen Verfassung die Ehrfurcht vor Gott als erstes Ziel der (staatlichen?) Erziehung festgeschrieben ist. Allerdings nicht allein dort. Die Gottesfurcht findet sich tatsächlich auch in drei weiteren Landesverfassungen als primäres Erziehungsziel: Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Bevor jetzt aber jemand auf die Idee kommt zu vermuten, der Bezug auf Gottesfurcht im staatlichen Erziehungswesen würde zum guten Abschneiden im nationalen Bildungsvergleich beitragen, sei noch darauf hingewiesen, dass zwar mit Baden-Württemberg (Platz 3) und Bayern (Platz 4) gottesfürchtige Länder vordere Plätze belegen. Hingegen rangiert Rheinland-Pfalz (Platz 8) im Mittelfeld und Nordrhein-Westfalen (Platz 15) trotz Verweis auf den lieben Gott sogar an vorletzter Stelle. Sachsen (Platz 1) und Thüringen (Platz 2) indes kommen offenbar ganz gut auch ohne Verweis auf höhere Mächte hinsichtlich der Erziehung aus. (Wobei man allerdings einräumen muss, dass der Verweis auf Gott auch in div. Präambeln gegeben ist, z.B. in Niedersachsen und Thüringen.)
Nunja, vielleicht gilt ja auch im Bezug auf das Bildungswesen: "Sire, ich hatte diese Hypothese nicht nötig..." Womit sie sich bequem herauskürzen ließe...
(Quelle für die Platzierungen: Bildungsmonitor)

Hier mal die entsprechenden Artikel der jeweiligen Landesverfassungen:

Verfassung des Landes Baden-Württemberg
Artikel 12
(1) Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.
(Quelle)

Verfassung des Freistaates Bayern
Artikel 131
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.
(Quelle)

Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen
Artikel 7
(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

(2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.
(Quelle)

Verfassung für Rheinland-Pfalz
Artikel 33
Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit, zur Liebe zu Volk und Heimat, zum Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt, zu sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit und in freier, demokratischer Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung zu erziehen.
(Quelle)

Sonntag, 23. Mai 2010

"Hacker in Government" - wirklich wünschenswert?

Auf der SIGINT10 (Köln, 22.-24.05.2010) hielt Nick Farr einen Vortrag, in dem er die Vorteile diskutierte, die sich seiner Ansicht nach ergeben würden, wenn "Hacker" die politische Arbeit übernähmen.

Dabei geht bereits die Grundvoraussetzung fehl: Während Programmierer (hier: Hacker als besonders befähigte Programmierer) dem System außen vor stehen, also nicht ein Bestandteil desselben darstellen, gilt dies für Politiker keineswegs. Sie sind inhärente Elemente des politischen Systems und damit unmittelbar von den Änderungen am System betroffen. Das mag einer der Gründe sein, die zu dem wohlbekannten, zuweilen wachsweichen "Politikersprech" führen. (Farr sprach von Politikern als Lügnern, die höfliche Lügen erzählen, während seiner Ansicht nach Hacker eher unhöfliche Wahrheiten sagen...)

Ein Programmierer kann bspw., da er nicht integraler Bestandteil des von ihm betrachteten Systems ist, dieses gemäß seinen Möglichkeiten bearbeiten, testen, ändern, testweise zum Absturz bringen, um daraus Schlüsse über zugrundeliegende Fehler zu ziehen usw. Er selbst wird von den Auswirkungen dieser Tests nicht beeinflusst. Stürzt das Programm ab, kann er den Code abändern und den Test erneut starten. Politiker dagegen unterliegen unmittelbar den Auswirkungen ihrer Handlungen. So zeitigen radikale politische Entscheidungen zuweilen radikale gesellschaftliche Reaktionen, was im besten Fall zu einer "Abwahl" des entsprechenden Politikers führt. Zieht man die Parallele zum Programmierer, würde nach einem fehlerhaften Programmtest nicht (nur) dieses abstürzen, sondern auch der Programmierer... ;-)

Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der fundamentalen Differenz der jeweiligen Systemkomponenten (Software hier, Gesellschaft/bürokratischer Apparat da). Hard- und Softwarekomponenten, Programmelemente/Funktionen/Subroutinen usw. besitzen keine eigenen Intentionen; sie lassen sich problemlos ändern und ggf. löschen. Mitarbeiter von Behörden und des politischen Betriebs hingegen reagieren eigenständig (und zuweilen unvorhersehbar); sie können nicht beliebig manipuliert werden. Das gilt im übrigen auch für die Institutionen/Behördenbereiche, die von den jeweiligen Mitarbeitern konstituiert werden. Solche Systeme sind nur sehr bedingt beeinflussbar. So können bspw. Weisungen anders ausgelegt werden, als vom Ersteller intendiert, Arbeitsaufträge lassen sich beliebig verschleppen (mag man als Antragsteller auf dem "Amt" auch schon mal erlebt haben), oder man ist schlicht "nicht zuständig".

Bereits diese beiden Punkte sollten zu einiger Skepsis hinsichtlich der Überlegung führen, politische Arbeit mit Methoden das Programmierens (hier gemeint: des Hackens) zu leisten. Ein Hörer des Vortrags gab darüber hinaus in der Diskussion zu bedenken, dass sich Hacker oftmals nicht recht erklären könnten (insb. gegenüber Nicht-Hackern). Politische Arbeit ist jedoch gerade zu einem hohen Teil „Verkaufstätigkeit“ (gegenüber wem auch immer). Dass Programmierer dagegen vielleicht nicht immer die erste Wahl für den Verkauf sind, zeigt sich auch darin, dass Entwicklung und Vertrieb in Softwarefirmen meist von separaten Abteilungen durchgeführt werden.

Das alles spricht natürlich überhaupt nicht gegen eine politische Betätigung von Programmierern/Hackern! Davon lebt Demokratie!! Die obige Anmerkung soll nur davor warnen, allzu unbedarft die Mentalität des Hackertums ins politische Geschäft übertragen zu wollen. Wobei natürlich gegen die Grundintention Farrs, nämlich nur dann Entscheidungen zu treffen, wenn man eine Sachverhalt wirklich durch und durch verstanden hat, nun wirklich überhaupt nichts einzuwenden ist.

Donnerstag, 1. April 2010

Ich verachte Leute, die sich, weil ihnen der eigene Ballast fehlt, mit den Problemen der Welt belasten. Der Mensch, der ewig über den Zustand der Menschheit beunruhigt ist, hat entweder keine eigenen Probleme oder weigert sich, ihnen ins Auge zu sehen. Ich spreche von der großen Mehrheit, nicht von den wenigen, die sich befreit und die Dinge durchdacht haben und damit priviligiert sind, sich mit der ganzen Menschheit zu identifizieren, und auf diese Weise den größten Luxus genießen, den es in dieser Welt gibt: zu dienen.
(Henry Miller, Sexus, S. 192)

Montag, 22. Februar 2010

"Man gelangt nicht billig dazu, ein großer Mann zu werden", sagte Daniel mit seiner sanften Stimme. "Das Genie begießt seine Werke mit seinen Tränen. Das Talent ist auf geistigem Gebiet ein Geschöpf, das, wie alle lebendigen Wesen, eine Kindheit hat, die von Krankheiten nicht verschont bleibt. Die Gesellschaft stößt die unvollkommenen Talente zurück, wie die Natur die schwachen oder mißgebildeten Geschöpfe vernichtet. Wer sich über die Menschen erheben will, muß sich zu einem Kampf rüsten, darf vor keiner Schwierigkeit zurückschrecken. Ein großer Schriftsteller ist ein Märtyrer, der nicht sterben kann. [...]
Wenn Sie nicht in der Brust den Willen haben, wenn Sie nicht die himmlische Geduld haben, wenn Sie nicht in dem Augenblick, wo die Launen des Geschicks Sie weit vom Ziel schleudern, wenn Sie da nicht, wie die Schildkröten, die, wo sie auch sein mögen, den Weg zu ihrem geliebten Meere einschlagen, gleich wieder unverzagt nach Ihrer Unendlichkeit streben, dann geben Sie den Kampf gleich heute auf."
"Sie machen sich also auf Leiden gefaßt?" fragte Lucien.
"Auf Prüfungen aller Art, auf die Verleumdung, den Verrat, die Ungerechtigkeit meiner Rivalen, auf die Unverschämtheiten, die Schliche, die Geldgier der Handelsleute [...]"
(Balzac, Verlorene Illusionen, Insel, S. 251f)

Samstag, 25. April 2009

Dem ganzen höheren Erziehungswesen in Deutschland ist die Hauptsache abhanden gekommen: Zweck sowohl als Mittel zum Zweck. Dass Erziehung, Bildung selbst Zweck ist – und nicht [»die Wirtschaft«] –, dass es zu diesem Zweck der Erzieher bedarf – und nicht der Gymnasiallehrer und Universitäts-Gelehrten – man vergaß das... Erzieher tun not, die selbst erzogen sind, überlegne, vornehme Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen bewiesen, reife, süß gewordene Kulturen – nicht die gelehrten Rüpel, welche Gymnasium und Universität der Jugend heute als »höhere Ammen« entgegenbringt. Die Erzieher fehlen, die Ausnahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung: daher der Niedergang der deutschen Kultur. [...] – Was die »höheren Schulen« Deutschlands tatsächlich erreichen, das ist eine brutale Abrichtung, um, mit möglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Männer für [die Wirtschaft] nutzbar, ausnutzbar zu machen. »Höhere Erziehung« und Unzahl – das widerspricht sich von vornherein. Jede höhere Erziehung gehört nur der Ausnahme: man muss privilegiert sein, um ein Recht auf ein so hohes Privilegium zu haben. Alle großen, alle schönen Dinge können nie Gemeingut sein: pulchrum est paucorum hominum. – Was bedingt den Niedergang der deutschen Kultur? Dass »höhere Erziehung« kein Vorrecht mehr ist – der Demokratismus der »allgemeinen«, der gemein gewordnen »Bildung«... Nicht zu vergessen, dass militärische Privilegien den Zu-viel-Besuch der höheren Schulen, das heißt ihren Untergang, förmlich erzwingen. – Es steht niemandem mehr frei, im jetzigen Deutschland seinen Kindern eine vornehme Erziehung zu geben: unsre »höheren« Schulen sind allesamt auf die zweideutigste Mittelmäßigkeit eingerichtet, mit Lehrern, mit Lehrplänen, mit Lehrzielen. Und überall herrscht eine unanständige Hast, wie als ob etwas versäumt wäre, wenn der junge Mann mit 23 Jahren noch nicht »fertig« ist, noch nicht Antwort weiß auf die »Hauptfrage«: welchen Beruf? – Eine höhere Art Mensch, mit Verlaub gesagt, liebt nicht »Berufe«, genau deshalb, weil sie sich berufen weiß... Sie hat Zeit, sie nimmt sich Zeit, sie denkt gar nicht daran, »fertig« zu werden – mit dreißig Jahren ist man, im Sinne hoher Kultur, ein Anfänger, ein Kind. – Unsre überfüllten Gymnasien, unsre überhäuften, stupid gemachten Gymnasiallehrer sind ein Skandal: um diese Zustände in Schutz zu nehmen, [...] dazu hat man vielleicht Ursachen – Gründe dafür gibt es nicht.

nach: Friedrich Nietzsche
(mit leichten Abwandlungen)
Götzendämmerung
vgl. KSA 6, S. 107f

Samstag, 21. März 2009

Ökologie der Vernunft

Das folgende Zitat Willy Hochkeppels fiel mir längstens schon in die Hand:
In der Philosophie, um endlich darauf zu kommen, werden Gesamtausgaben auch mittelmäßiger Denker, die uns kaum mehr etwas zu sagen haben, von emsigen und sonst beschäftigungslosen Hochschulangestellten aus ihrem wohlverdienten Schlummer gerissen. [...] Auch Denkern ist unzuträglich, wenn nichts mehr gnädiger Vergessenheit anheimfällt und in der Versenkung der Zeit verschwindet, auch im Reich der Ideen gibt es eine Ökologie, die die Vernunft bei Gesundheit hält. Wenn jetzt auch dem Mist das Recht auf's Vermodern genommen und er als unverderbliche Ware ausgewiesen wird, weil die Märkte allem offenstehen, dann droht die Gefahr der Vergiftung, zumal Historismus und Relativismus unsere Wertmaßstäbe pluralistisch biegsam gemacht und ästetisch dem Eklektizismus ausgeliefert haben.
(Willy Hochkeppel, Endspiele.
Zur Philosophie des 20. Jahrhunderts
dtv 1993, S. 10f.)
Ich sehe mich außerstande, Hochkeppel in diesem Punkt zu widersprechen.
Was will uns die Ökologie der Vernunft lehren? Nicht überwiegend zurück sollen wir unsere Blicke richten, sondern nach vorn. Sapere aude!

Freitag, 26. Dezember 2008

Business Ethics

In seinem Beitrag "Die Höhle verlassen!" schlägt Markus Holzbrink das Gebiet business ethics als ein in der Alltagswelt verankertes Gebiet vor, das seitens philosophischer Ethiker behandelt werden könnte.

Sofern unter dieser Behandlung eine philosophisch-distanzierte Analyse des Gebiets verstanden wird, kann dem Vorschlag Holzbrinks zugestimmt werden: Genau in solchen Analysen liegt die Kompetenz der Philosophie.

Sollte Holzbrink jedoch der Ansicht sein, Philosophen sollten im Rahmen tatsächlicher Firmenaktivitäten direkt beratend tätig sein, ist allergrößte Skepsis angebracht:
Viele Manager wissen heute, dass die Lösungen dieser komplexen Fragestellungen [der normativen und moralischen Problemkomplexe, mit denen jedes Unternehmen heute konfrontiert wird, Soph.], die hier erörtert werden müssen, eine bessere Aussicht auf Erfolg haben, wenn in der ethischen Problematik geschulte fachleute bei den Diskussionen und Entscheidungen mitwirken.
(Holzbrink, S. 40)
Firmen und Unternehmen mögen es unter Umständen für geboten erachten, sich einen Hof-Philosophen zu halten, der ihnen bei der Beantwortung und Deutung ethischer Fragestellungen behilflich ist. Dabei versteht es sich von selbst, dass dies nur im Sinne der Profitmaximierung geschehen kann. Insofern die Probleme in der Finanz- und ökonomischen Verwertungkultur selbst verwurzelt sind, und das sind sie i.d.R., kann ein philosophischer Ratschlag nur zu Ungunsten des Unternehmens ausfallen. Was ihn für selbiges wertlos werden lässt.

Ergo: Philosophie und Betriebsökonomie sind komplementäre Kulturen, die nur um den Preis gegenseitiger Zugeständnisse aufeinander bezogen werden können. Zum Nachteil beider.

Quelle: Markus Holzbrink, Die Höhle verlassen! Ein Plädoyer für die Geisteswissenschaften, in: Ludger Heidbrink, Harald Welzer (Hrsg.), Das Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften. Beck'che Reihe 2007, S. 39.