Freitag, 8. Oktober 2010

Internet in Danger!

Gestern lief die erste Episode von "Tatort Internet- Schützt endlich unsere Kinder" bei RTL II.

Nun gut, über Geschmack lässt sich nicht streiten: Mir persönlich sagt die pathetische Form des Formats überhaupt nicht zu (um nicht zu sagen: sie widert mich an), aber das mögen andere anders sehen. Das eigentliche Problem ist ein anderes: es liegt in der unsäglichen Verquickung der Begriffe "Internet" und "Kindesmissbrauch". Dem Zuschauer wird wieder und wieder der Eindruck vermittelt, das Internet stelle einen einzigen Tummelplatz pädosexueller Triebtäter dar. Man wird nicht müde, das Internet als den "größten Tatort" der Welt zu bezeichnen, und auf die unglaublichen Gefahren zu verweisen, die darin lauern.
Aus den Begutachtungssituationen kenne ich viele, viele Täter, um nicht zu sagen fast ausschließlich auch Täter aus dem Bereich der Sexualkriminalität, die das Internet nutzen, mehr oder minder stark. Es gibt ja kaum noch einen Täter, der ein Vergewaltigungsdelikt begeht oder sexuelle Missbrauchshandlungen an Kindern begeht, der nicht vorher irgendwie im Internet irgendwie auffällig war. Wir finden bei fast allen Sexualstraftätern, oder Männern, die einer Sexualstraftat beschuldigt werden, auffällige Verhaltensweisen im Internet. Die gehen ins Internet, weil sie dort ein Bedürfnis befriedigen wollen.
(Prof. Dr. Michael Osterhaider, ab 21'20")
Dabei sollte die spezifische Nutzung der Internet durch potenzielle wie tatsächliche Sexualstraftäter nicht weiter verwundern, denn schließlich lassen sie auch ein spezifisches Verhalten außerhalb des Internet erkennen. Der wesentliche Unterschied zwischen Internet und dem Rest der Welt liegt in der vermeintlich leichteren, jedoch bislang nicht umgesetzten (oder als ausreichend empfundenen) Kontrollierbarkeit des Internets.

Also nochmal für diejenigen, die es noch nicht mitbekommen haben: das Internet ist ein Spiegel dieser Welt. Böse Menschen machen damit böse Sachen, gute Menschen gute. Vergleicht es meinetwegen mit einer Autobahn: da fahren üppige Karossen neben abgeranzten Blechkisten, Polizisten neben Kriminellen. Die Autobahn bringt potenzielle Täter zu ihren Opfern, die sie ohne Autobahn nicht oder nur schlecht erreichen würden. Hat das was mit der Autobahn zu tun? Stellen wir deswegen - und wir WISSEN, dass es passiert - an allen Auf- und Abfahrten Kontrollpunkte auf, um Verbrechen aufzuklären? Kaum!

Merke: das Internet hat mit Kindesmissbrauch soviel zu tun, wie ein Auto mit einem Mord. Im Internet können potenzielle Täter ihre Opfer kennenlernen, wie Mafiosi mit dem Auto zu den ihren fahren. Doch der eigentliche Akt passiert weder im Internet, noch (oder zumindest selten) mit dem Auto. Ist so!

Das Widerlichste an diesem Format ist aber die mediale Ausschlachtung von (versuchten) Verbrechen, die von Menschen verübt werden, die - zumindest nach WHO-Gesichtspunkten (vgl. ICD-10, F65.4) - als krank einzustufen sind. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, sollten also Pädokriminelle tatsächlich als krank einzustufen sein, stellt sich die interessante Frage nach ihrer Zurechnungsfähigkeit. Manche fordern ja geradezu eine "Neuroethik". Ob's das tatsächlich braucht, sei mal dahin gestellt. Gleichwohl - Kranke gehören in Behandlung, meinetwegen in geschlossen-stationäre, Verbrecher ins Gefängnis - aber keinesfalls ins Fernsehen!

"Warun brechen Sie jetzt ein? Warum brechen Sie jetzt ein?" (37'57") wird der potenzielle Täter gefragt, dabei dürfte doch offensichtlich sein, dass das Leben dieses Mannes, wenn das alles so stimmt, nun eine harte Wendung nehmen wird. Straf- und disziplinarrechtliche Konsequenzen drohen (vgl. § 176 StGB Abs. 6), evtl. der Verlust seines Beamtenverhältnisses und Arbeitsplatzes.Und da fragen wir fröhlich nach: was hat er denn, der Kleine?

Kindesmissbrauch ist eine hässliche Sache - ohne Zweifel. Das StGB sieht entsprechende Strafen vor. Also dann nichts wie zur Polizei und Anzeige erstatten. Doch oh' Schreck - was passiert:
"Leider reicht das Material [...] den Ermittlungsbehörden nicht aus, einen Anfangsverdacht zu generieren [..]."
(45'05")
Wie bitte? Da verabredet sich ein deutlich erwachsener Mann mit einem minderjährigen Mädchen (die Chatprotokolle und das aufgenommene Eingeständnis des Mannes, deren Autor zu sein dürften ja mit dazu zählen) unter Bezug auf die schlüpfrigen Stellen, und DAS soll nicht als Anfangsverdacht z.B. für eine Hausdurchsuchung genutzt werden können??2?
Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.
Ok, was könnte hinter der Zurückweisung des Materials stehen? Das Bild- und Tonmaterial ist natürlich nicht gerichtsfest, da unrechtmäßig erhoben (§ 201 STGB, Vertraulichkeit des Wortes). In einem sich evtl. ergebenden Verfahren dürfte es also nicht verwendet werden. Aber ein Anfangsverdacht sollte sich damit schon begründen lassen. Oder...?

Mir kommt das Ganze sowieso recht seltsam vor. So ist es doch interessant, dass die mutmaßlich potenziellen Pädokriminellen immer schön das Spiel mitmachen. Da sitzt einer eben noch mit seiner vermeintlichen Liebschaft am Tisch, die sich kurz auf die Toilette verabschiedet. Kaum dass sie aufgestanden ist (!), setzt sich die verdeckte Privatermittlerin an den Tisch und beginnt, den potenziellen Täter auszufragen und Vorhaltungen zu machen (ab 32'10"). Und der bleibt einfach sitzen. Steht, wie auch schon im ersten Fall, brav Rede und Antwort. Als hätte er nicht realisiert, dass er in eine Falle geraten ist. Wieso geht er überhaupt auf die ganze Fragerei ein? Da setzt sich jemand mir nichts, dir nichts, an den Tisch und beginnt umstandslos mit Fragen. Und statt sich solche zu verbitten - etwa gleich die erste Frage: "Was machen Sie hier?" - oder einfach zu gehen, macht er einfach mit. Seltsam...

Ok, ich will RTL II glauben, dass es sich hier um tatsächlich mit versteckter Kamera aufgenommene reale Ereignisse ohne Schauspieler, Drehbuch usw. handelt. Aber ein bisschen merkwürdig kommt mir das schon vor...

Aber vielleicht sollte man das Ganze nicht zu ernst nehmen. Schließlich sieht man ja gleich auf der Internet-Seite, um was es geht: "RTL II - it's fun." Geht das eigentlich nur mir so, oder hat Udo Nagel eine vage Ähnlichkeit mit Horst Schlämmer?


Hach, ich freu' mich schon richtig drauf, wenn endlich mal die Running Man-Show Einzug ins Fernsehen hält. Dann lege ich mir vielleicht auch wieder so ein Ding zu. Vorher aber ganz sicher nicht!

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Blogosphäre in der Krise

Maingold-Blogger Marius hat in einem Beitrag auf die Krise in der Blogospähre hingewiesen: Am Krankenbett der Blogosphäre – oder von der fehlenden Motivation zu bloggen.

Die Blogosphäre in der Krise - wer hätte das gedacht?! Vor Kurzem, z.B. auf der 10. Republika, feierte sich die Community noch selbst - von Jahr zu Jahr hatte die Anzahl der Tagungsgäste zugenommen und inzwischen wurden sogar schon Stimmen laut, die den Verlust der familiären Atmosphäre beklagten. Das macht einen nicht gerade glauben, die Blogosophäre läge danieder. Auf den ersten Blick. Der zweite zeigt: an der Diagnose könnte was dran sein.

Ok, ich selbst bin jetzt nicht gerade der Hardcore-Blogger und auch sonst nicht so häufig in der Blogosphäre unterwegs. Denn ja länger ich surfe, desto unzufriedener werde ich durch das reine Konsumieren - sofern ich noch die Intention habe, selbst zu bloggen. Das Problem sind - genau wie beim Fernsehen - nicht die vielen Einträge, deren Form und Inhalt zu wünschen übrig lassen. Sondern ganz im Gegenteil sind es die guten Inhalte, die interessanten Beiträge, die Frust erzeugen. Denn schnell bemerkt man: Selbst bei einem 24stündigen Lesemarathon würde man kaum alle die Inhalte erfassen können, die einen interessieren. Es gibt zu viel guten Content, als dass man ihn bewältigen könnte. Mit dieser langsam zur Erkenntnis wachsenden Ahnung stirbt die Lust am Lesen fremder Beiträge ab. Lieber was anderes machen. Oder den Rest des Tages, ausgehend von ein paar zentralen Blogs, surfen - ohne zu kommentieren. Einige Blogs, wie fefe oder nerdcore, sind ja prima Einsprungstellen in die Weiten des Netzes.

Doch die Masse an Blogs bewirkt noch einen weiteren Effekt - nämlich das Gefühl, selbst nichts Originelles mehr zu sagen zu haben: alles wurde schon gebloggt, und zwar ganz sicher profunder und eloquenter als man selbst es vermag. Und wenn nicht heute, dann gestern. Und wenn nicht heute und gestern, dann morgen. Also lässt man nicht nur das Lesen, sondern auch das Schreiben.

Wir fassen zusammen: nicht der schlechte, sondern der gute Content befördert die Schrumpfung der Blogosphäre! (Ganz ähnlich übrigens Magdalena auf 25uhr: How Success Kills Usability.)

Aber Moment mal: Schrumpfung? Ja, genau! Die Blogosphäre krankt, doch sie stirbt nicht. Nach einer ersten Phase der Euphorie, in der jeder auf den hippen Zug aufgesprungen ist, kommt jetzt die Phase der Gesundschrumpfung. Natürlich wird es weiterhin Blogs geben, ist doch klar. Ziemlich sicher die, welche heute die Blogcharts anführen. (Man überprüfe diese Aussage ruhig in ein paar Jahren, falls es dieses Blog dann noch geben sollte.)

Und ist das schlimm? Nein, eigentlich nicht. Denn plötzlich macht es wieder Spaß, Blogs zu lesen. Durch die Konsolidierung wird die Welt wieder übersichtlicher - ein bisschen zumindest. Und der Mensch ist nun mal ein Herdentier: Man liest gerne das Medium, das a) die eigene Meinung verstärkt (jaja, is' leider so) und b) dann auch noch viele andere Leute lesen (die ja, s. a) wie man selbst ticken). Und der Rest? Na, der stirbt ab - oder bildet kleine Blog-Cliquen aus: ganz wie früher. Vielleicht trifft man sich dann sogar mal offline. Einstmals (Präinternetium) nannte man solche Veranstaltungen "Usertreffen": Man wollte die Leute (meist Kerle), mit denen man sich austauscht, persönlich bei einem Bier treffen und mal "richtig" kommunizieren, face-to-face. Ich muss gestehen - ich finde diese Vorstellung durchaus nicht unsympathisch!

Ich schreibe wie...

FAZ.net hat sich was Nettes einfallen lassen: auf der Seite Ich schreibe wie... kann man eine Textprobe von sich eingeben und dann die stilistische Nähe zu (hoffentlich) bekannten Autoren berechnen lassen. Wie genau das funktioniert, verrät die Seite natürlich nicht. Immerhin findet sich unter dem Eingabefeld der Hinweis, das Verfahren basiere auf dem englischsprachigen I write like..., das von Coding Robots entwickelt wurde.

Ich habe die Software gleich mal mit einem einseitigen Auszug aus einem meiner Prosamanuskripte ausprobiert, und siehe da:

Uwe Johnson


Selbstverständlich fühle ich mich geehrt, angesichts der attestierten stilistischen Nähe zu einem so bedeutenden deutschen Nachkriegsschriftsteller. Betroffen gemacht hätte mich indes eine Nähe zu ... aber lassen wir das.

Ob sich die Annahmechancen eines Manuskripts indes erhöhen, tackerte man das obige Zertifikat daran - das steht freilich auf einem anderen Blatt. In jedem Fall trägt es ein wenig zu Eigenmmotivation bei :-)